LEITARTIKEL

Europas große Koalition

Heute wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel erwartet - zum Antrittsbesuch bei EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Das klingt ein wenig ulkig, schließlich gibt es wenige Politiker, die die Geschicke der EU bereits so lange und so...

Europas große Koalition

Heute wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel erwartet – zum Antrittsbesuch bei EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Das klingt ein wenig ulkig, schließlich gibt es wenige Politiker, die die Geschicke der EU bereits so lange und so einflussreich mitbestimmen wie Merkel und Juncker. Und die nicht bloß bestens miteinander vertraut sind, sondern den anderen – wenngleich nicht lieben, so doch – schätzen. Insofern kann man sich heute auf eine harmonische Veranstaltung einstellen.Das ist längst keine Selbstverständlichkeit. Denn Junckers Vorgänger, der Portugiese José Manuel Barroso, büßte in seiner zweiten Amtszeit viel an Respekt seitens der Bundesregierung ein – ein Grund dafür, dass vieles in Brüssel in den vergangenen Jahren jenseits der Gemeinschaftsmethode in Form bloßer zwischenstaatlicher Absprachen geregelt wurde. Dass die Kanzlerin Juncker allem Anschein nach ernster nimmt als Barroso, dürfte damit zu tun haben, dass der Luxemburger seine Behörde bei Amtsantritt gehörig umgekrempelt hat. Die Runderneuerung mit Kommissaren, Vizepräsidenten und Junckers rechter Hand Frans Timmermans provoziert zwar manche interne Reibung. Zweifelsohne ist die EU-Kommission dadurch aber politischer geworden – und es tut ihrer Schlagkraft gut, dass an entscheidenden Schalthebeln heute Politiker sitzen, die bis gerade neulich noch Regierungen, Auswärtige Ämter oder Finanzministerien geführt haben.Die Bundeskanzlerin hat gute Gründe, mit dieser EU-Kommission bislang zufrieden zu sein. Der bisher bedeutsamste Vorstoß der Juncker-Behörde wirkt – sogar in vielen seiner Details – fast so, als wäre der Entwurf in deutschen Amtsstuben entstanden: das Investitionspaket. Der sparsame Einsatz öffentlicher Mittel, die Verschiebung weg von Zuschüssen hin zu Garantien, die strenge Entpolitisierung und Versachlichung der Projektauswahl – es ist keineswegs Zufall, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble die KfW ohne große Probleme an die EU-Initiative andocken kann. Zudem dürfte es die Bundeskanzlerin beeindruckt haben, wie zügig der erst im November ins Amt gerückte Juncker das Vorhaben, das ihm besonders am Herzen liegt, vorangetrieben hat und weiter vorantreibt.Dass es zwischen Berlin und Brüssel derzeit recht gut klappt, dürfte aber vor allem daran liegen, dass in Deutschland wie in Europa relativ störungsfrei funktionierende große Koalitionen an der Macht sind. So wie Merkel mit Steinmeier harmoniert, so ziehen Juncker und sein Vize Timmermans an einem Strang. Der Sozialdemokrat ist längst zum begehrten Ansprechpartner in den Hauptstädten aufgestiegen – selbst dort, wo Konservative die Regierungen führen. Ebenfalls gute B-Noten werden der Außenbeauftragten Federica Mogherini attestiert, auch wenn (oder gerade weil) sie beim zentralen außenpolitischen Thema – dem Ukraine-Konflikt – Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande die Verhandlungsführung überlässt.Europas große Koalition reicht sogar über die EU-Kommission hinaus, denn Juncker hat mit seinem Konkurrenten bei der Europawahl, Martin Schulz, ein enges Bündnis geschmiedet. Gemeinsam mit Timmermans und dem christdemokratischen Fraktionschef Manfred Weber trifft sich das Quartett in losen Abständen – wenn man so möchte: ein Koalitionsausschuss light.Und was kommt dabei raus? In dieser großkoalitionären Fassung ist die EU mehr denn je auf Kompromisse und gemeinsame Positionen ausgerichtet. Das gelingt sowohl der EU-Kommission als auch den nationalen Regierungen in Rat und Eurogruppe bislang überraschend gut. Die Verhandlungen über den Umgang mit Russland sind trotz unterschiedlicher nationaler Interessen zwischen Grenzanrainern und Handelspartnern Moskaus von großem Einvernehmen geprägt. In der Frage, wie Euroland mit Griechenland umgehen soll, sind bemerkenswerterweise Süd- wie Nordländer, wenn man Griechenland selbst einmal außen vor lässt, einer Meinung. Kontroversen gab es zuletzt allenfalls darüber, was man mit den Defizit- und Schuldensündern Frankreich und Italien macht. Beide Länder dürften davon profitiert haben, dass jeder in der EU weiß, dass Deutschland – wenn es hart auf hart kommt – bei Frankreich bereit sein würde, ein Auge zuzudrücken, um nicht zu riskieren, den bedeutendsten Verbündeten in der EU zu verlieren. Denn letztendlich ist die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich – ganz egal, wer dort regiert – seit jeher Europas wichtigste große Koalition.——–Von Detlef FechtnerSo wie Merkel mit Steinmeier harmoniert, so ziehen Juncker und sein Vizepräsident Frans Timmermans an einem Strang.——-