LEITARTIKEL

Europas Hauptnenner

In den vergangenen Wochen konnte einem durchaus bange werden um die Europäische Union. Die Ergebnisse der Verhandlungen über eine europäische Reaktion auf die Pandemie erschöpften sich in Ankündigungen und Hoffnungswerten. Bundeskanzlerin Angela...

Europas Hauptnenner

In den vergangenen Wochen konnte einem durchaus bange werden um die Europäische Union. Die Ergebnisse der Verhandlungen über eine europäische Reaktion auf die Pandemie erschöpften sich in Ankündigungen und Hoffnungswerten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben die Debatte über die Rolle der EU bei der wirtschaftlichen Stabilisierung des EU-Binnenmarkts nun auf eine Grundlage gestellt – endlich. Man mag ihren Vorschlag einer 500 Mrd. Euro schweren Kreditaufnahme der EU-Kommission zur Finanzierung von Zuschüssen an besonders von der Krise betroffene Regionen und Branchen gutheißen oder nicht. Auf jeden Fall aber haben sie dafür gesorgt, dass nicht mehr rhetorisch, sondern politisch diskutiert wird.Der Vorschlag von Merkel und Macron erscheint dabei wie das Ergebnis politischer Mathematik. Berlin und Paris haben sich bemüht, Europas wirtschafts- und finanzpolitischen Hauptnenner zu identifizieren. Eine Staatenunion, die sich gegenseitig hilft, aber nicht füreinander haftet. Eine Staatenunion, die sich solidarisch zeigt, aber nur in dem Maße, dass nicht die finanzielle Solidität derer beeinträchtigt wird, die Solidarität beweisen.Die EU-Kommission hat sich schon früher Geld am Markt gepumpt – etwa in Form sogenannter Zahlungsbilanzhilfen. Das ist insofern nichts Neues. Die EU-Kommission vergibt seit langem Zuschüsse, die sie nicht zurückfordert – zum Beispiel via Kohäsionsfonds. Auch das ist nichts Neues. Neu ist allerdings die Kombination: Dass die EU-Kommission Schulden aufnimmt, um Zuschüsse zu vergeben. Eine solche Erweiterung des EU-Haushalts ist etwas anderes als eine vergemeinschaftete Schuldenaufnahme mit gesamtschuldnerischer Haftung. Es handelt sich beim deutsch-französischen Vorstoß also gerade nicht um Corona-Bonds, nicht einmal durch die Hintertür. Gleichzeitig ist das präsentierte Konzept eine Abkehr von der Position, gemeinsam aufgenommene Mittel – so wie etwa beim Euro-Rettungsfonds – nur in Form von Krediten zu vergeben.Erste Reaktionen aus Hauptstädten signalisieren, dass Merkel und Macron mit ihrem Vorschlag in der Mitte gelandet sind. Österreich und einigen gleichgesinnten Mitstreitern im Norden und Osten geht der Ansatz zu weit. Italien und deren “Like-minded”-Partnern nicht weit genug. Allein: Kein EU-Partner hat bisher mit Abscheu und Empörung auf den Vorschlag der beiden Großen reagiert.Eine Frontalopposition wäre auch diplomatisch unklug. In der EU geht zwar längst nicht alles so, wie es Berlin und Paris vorgeben. Aber andererseits geht auch nichts, was gemeinsamen Vorschlägen Frankreichs und Deutschlands diametral entgegenläuft. Statt den Vorschlag pauschal abzulehnen, werden die nationalen Regierungen ihre Kräfte daher darauf konzentrieren, an entscheidenden Stellschrauben zu drehen. Der Norden wird auf strenge Konditionalität pochen – also Reformen der Empfängerländer verlangen, zudem auf strikten Zweckbindungen bestehen und darauf achten, dass die “Einmaligkeit” des Fonds, so gut es geht, festgezurrt wird. Der Süden wiederum wird Nachbesserungen beim Volumen fordern und gegen die Verknüpfung mit dem europäischen Semester, also möglichen Auflagen, Sturm laufen. Zudem werden Tilgungszeiträume und die Frage, ob der Fonds auch durch Einsparungen an anderer Stelle refinanziert wird, eine Rolle spielen.Vieles spricht dafür, dass die EU sich nach hitzigen Debatten auf ein Paket verständigen wird, das sich zwar von der deutsch-französischen Vorlage unterscheidet – auch, um jedem Regierungschef die Chance zu geben, sich mit “hart erkämpften” Anpassungen zu präsentieren. Aber man kann damit rechnen, dass sich die EU auf einen Fonds einigen wird, der die Handschrift von Merkel und Macron trägt. Das ist, wenn es denn so kommt, aus drei Gründen begrüßenswert. Erstens würde die Fiskalpolitik endlich Verantwortung übernehmen und nicht länger die Geldpolitik mit der Aufgabe überfordern, Europa weitestgehend allein vor dem Absturz zu bewahren. Zweitens würde das deutsch-französische Tandem beweisen, dass es noch immer die politische Kraft hat, Europa vor einer politischen Schockstarre zu bewahren. Und drittens ist es sowieso aller Mühen wert, den Binnenmarkt zu stabilisieren. Dass der nicht nur für die Exportnation Deutschland, sondern auch für die anderen EU-Partner einer der entscheidenden Antriebshebel ist, um die Konjunktur wieder in Fahrt zu bringen, schien in den zurückliegenden Wochen der Konzentration aufs Nationale fast schon vergessen.——Von Detlef FechtnerMan kann damit rechnen, dass sich die Europäische Union auf einen Fonds einigen wird, der die Handschrift von Merkel und Macron trägt.——