Exportschwäche gefährdet Südkoreas Wachstum

Ausfuhr von Autos und Elektronik geht zurück - Schiffsbau steckt ebenfalls im Tief - Problematische Abhängigkeit von China

Exportschwäche gefährdet Südkoreas Wachstum

Von Martin Fritz, TokioIn Südkoreas Wirtschaft ist der Wurm drin: Das größte Unternehmen Samsung Electronics musste erstmals ein Smartphone komplett zurückrufen und die Produktion aufgeben. Der zweitwichtigste Exporteur, Hyundai Motor, erlebte den ersten kompletten Streik seit zwölf Jahren mit einem Ausfall von 140 000 Autos.Auch der Schiffsbau als dritter Vorzeigesektor steckt im Tief: Seit Mai steht der viertgrößte Schiffsbauer STX Offshore & Shipbuilding unter Zwangsverwaltung. Das Unternehmen gehört jetzt sechs koreanischen Banken. Daewoo Shipbuilding, die Nummer 2 mit Schulden von 6 Mrd. Euro, wird verdächtigt, überhöhte Gewinne von über 1 Mrd. Euro ausgewiesen zu haben, um ihre prekäre Finanzlage zu verschleiern. Die größte Container-Reederei des Landes, Hanjin Shipping, löst mit ihrer Insolvenz weltweite Sorgen ums Weihnachtsgeschäft aus, weil ihre Frachter voller Elektronik in internationalen Häfen nicht mehr anlegen durften. Bei Lotte, der Nummer 5 der Konglomerate, gibt es einen erbitterten Machtkampf um die Führung und Korruptionsvorwürfe, auch einen Selbstmord gibt es hier zu beklagen.Ungeachtet dieser Dramen beharren Regierung und Notenbank darauf, dass die Wirtschaft so schnell wachsen wird wie erwartet. “Die Erholung ist intakt”, betonte der Gouverneur der Bank of Korea, Lee Ju-yeol, vergangene Woche. Nach einem Plus von 2,5 % im Jahr 2015 soll Südkoreas Wirtschaft in diesem Jahr um 2,7 % zulegen. Die Prognose für 2017 wurde von der Bank of Korea lediglich um 0,1 Punkte auf + 2,8 % gesenkt. Auch Vizefinanzminister Lee Chan-woo rechnet damit, dass die Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt. Die Samsung-Probleme könnten sich im dritten und vierten Quartal zeigen, meinte er, aber die Hyundai-Streiks belasteten das Wachstum mehr als das Note-7-Fiasko von Samsung Electronics. Konsum enttäuschtDie Hälfte des Rückgangs der Industrieproduktion um 2,4 % im August sei auf das Konto der Arbeitsniederlegungen bei Hyundai gegangen, so Lee. Dies entsprach dem schnellsten Fall seit 19 Monaten. “Unsere Wirtschaft ist nicht nur Samsung und Hyundai”, betonte der Minister. “Die Verluste lassen sich durch Konsum und Investitionen ausgleichen.” Doch beide enttäuschen trotz eines Leitzinses auf dem Rekordtief von 1,25 %.So scheint Optimismus fehl am Platz. Im September schrumpften die Exporte um 5,9 % zum Vorjahr. Sie stehen für über die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Besonders betroffen waren die beiden wichtigsten Ausfuhrgüter: Der Autoexport sackte um 24 % ab und die Ausfuhr von Smartphones und ihren Komponenten um 34 %. Diese Sektoren machen ein Sechstel der Exporte aus. Von Januar bis August hat das Land insgesamt 18 % weniger Handys und 7 % weniger Monitore ausgeführt. Das Hauptproblem bleibt China: Rund ein Viertel der Exporte geht ins Reich der Mitte. Doch die chinesischen Hersteller insbesondere von Autos und Elektronik können es inzwischen mit ihren Rivalen aus Südkorea aufnehmen. Beim Handy-Absatz ist Samsung Electronics aus den Top 5 in China herausgefallen. Hyundai leidet unter der erhöhten Qualität bei niedrigeren Preisen der chinesischen Autobauer.Der Chefökonom vom südkoreanischen Brokerhaus HI Investment, Park Sang-hyun, erwartet laut Bloomberg als Folge des Samsung-Debakels ein Exportminus im vierten Quartal von mindestens 3,4 Prozentpunkten. Lee Mi-seon von Hana Financial Investments rechnet vor, dass bei einem Rückgang der Samsung-Exporte um 30 bis 40 % in den nächsten beiden Quartalen sich das Wirtschaftswachstum im Gesamtjahr 2017 um 0,15 bis 0,2 Punkte verringern wird. Die Menetekel sind nicht zu übersehen: Der Nikkei-Einkaufsmanagerindex für die Industrie sank im September auf das 14-Jahres-Tief von 47,6 Zählern, noch ein Punkt weniger als im August.Die chinesische Zeitung “Global Times” machte in einem Kommentar auf Parallelen zu den neunziger Jahren aufmerksam. Der Streik bei Hyundai Motor erinnere an 1996. Damals waren ebenfalls Widerstände gegen eine Reform des Arbeitsmarktes ein wichtiges Streikmotiv und das in einem Jahr vor der Präsidentenwahl. Danach folgte 1998 eine Finanzkrise in Südkorea. Auch jetzt verlangsame sich das Wachstum, Konsum und Investitionen seien schwach, schrieb das Blatt. Allerdings hinkt der Vergleich, weil das Wachstum in den neunziger Jahren dreimal so hoch war wie heute. Jedoch sind 12,5 % der bis 29-Jährigen arbeitslos. In dieser Altersgruppe, die mit 69 % den höchsten Akademikeranteil in den OCED-Ländern hat, trägt Korea den Spitznamen “Hölle”. Digitale HoffnungszeichenEin Hoffnungszeichen ist die ausgezeichnete digitale Infrastruktur. Nirgendwo sind mobiles und Breitband-Internet so schnell wie in Südkorea. Die Regierung fördert technologische Start-ups in Dutzenden Zentren mit hohen Subventionen. Zur Ankurbelung von Fintech-Unternehmen wurde es sogar Industriekonzernen erlaubt, in den Finanzsektor zu expandieren. Aber außer dem japanischen Messenger-Dienst Line, der vom Internetriesen Naver gegründet wurde, ist kein Auslandshit gelungen. Das Handy-Bezahlsystem “Samsung Pay” dominiert nicht einmal in Südkorea.Das größte Strukturproblem liegt in der Dominanz der Konglomerate (Chaebol). 1986 standen die vier Gruppen Samsung, Hyundai, SK und LG für 20 % von Südkoreas Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieser Anteil stieg bis 2014 einschließlich der Lotte-Gruppe auf 55 %. Allein die Samsung-Gruppe mit ihren 59 Unternehmen steht für 25 % des Exports und 20 % des BIP. Die größten vier Konzerne erzielten 90 % des Nettogewinns (2013). Da wirken die Bemühungen der Regierung, die Bestechung von Beamten durch ein Verbot von exzessiver Bewirtung einzuschränken, hilflos. Die Versprechen aller Parteien im Wahlkampf 2012, die Macht der familiengeführten Wirtschaftsriesen zu beschneiden, wurden weitgehend vergessen. Das neue Zauberwort der Regierung heißt “kreative Wirtschaft”. Aber in Wirklichkeit reguliert und interveniert sie mehr als je zuvor. Der überschuldete Privatsektor und der starke demografische Trend der gesellschaftlichen Alterung sind weitere Wachstumsbremsen.Daher wachsen bei der intellektuellen Elite zwei Befürchtungen. Eine Sorge ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahrzehnten dem japanischen Weg in die Deflation folgt. Die zweite Sorge scheint aus heutiger Sicht realistischer: Danach könnte Südkorea nach dem rapiden Aufstieg unter die zehn größten Wirtschaftsnationen wieder ein politisches und wirtschaftliches Anhängsel von China werden – so wie es schon früher jahrhundertelang der Fall war.