EZB deutet weitere Lockerung an

EZB-Direktor Praet: Untere Zinsgrenze wohl noch niedriger als noch vor Monaten angenommen

EZB deutet weitere Lockerung an

EZB-Chefvolkswirt Peter Praet warnt vor den Folgen einer sich verstetigenden Wachstumsschwäche in der Eurozone und fordert die Politik auf, sich endlich den überfälligen Strukturreformen zu widmen.lz Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich besorgt über die konjunkturelle Entwicklung im Euro-Währungsraum gezeigt und eine weitere Senkung des Leitzinses für Bankeinlagen nicht ausgeschlossen. Eine Senkung des Einlagenzinssatzes sei Teil des Instrumentariums, sagte EZB-Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied Peter Praet am Donnerstag in Frankfurt. Die untere Zinsgrenze, die bereits im negativen Bereich liegt, könne möglicherweise noch niedriger liegen als noch vor Monaten oder Jahren angenommen worden sei, sagte er auf der Euro Finance Week in Frankfurt.Der Chefvolkswirt bekräftigte zudem frühere Aussagen, wonach die EZB bereit sei zu handeln, falls dies erforderlich sein sollte. Nach jüngsten Äußerungen führender EZB-Vertreter rechnen Volkswirte bei der nächsten Zinssitzung im Dezember mit weiteren Maßnahmen der Notenbank im Kampf gegen die zu schwache Inflation und eine lahmende Konjunktur. In der Diskussion ist neben einer Ausweitung des aktuellen Kaufprogramms der EZB für Wertpapiere auch eine weitere Senkung des Zinssatzes für Bankeinlagen bei der Notenbank von derzeit minus 0,2 %. Der Einlagensatz ist – neben den Anleihekäufen – eines der Instrumente, mit denen die EZB die Kreditvergabe ankurbeln will. Der Leitzins in der Eurozone liegt seit einiger Zeit auf dem Rekordtief von 0,05 %. EZB-Präsident Mario Draghi hatte im Oktober nach der Ratssitzung gesagt, dass über den Einlagensatz diskutiert werde.Praet machte deutlich, dass jüngste Konjunkturdaten den Erholungskurs der Wirtschaft in der Eurozone zwar bestätigt hätten, dass aber für die weitere konjunkturelle Entwicklung Abwärtsrisiken existierten und die schleppende Erholung darüber hinaus die Wachstumserwartungen immer weiter senke, was für sich genommen die Normalisierung immer schwieriger mache.Praet sprach von einer “ernsten Situation” mit Blick auf die Tatsache, dass die meisten Euro-Länder acht Jahre nach Beginn der Finanzkrise noch immer nicht das Vorkrisenniveau erreicht haben. Viele Banken und Investoren hätten weiter mit ihren Bilanzen zu kämpfen. Diese Verzögerung ziehe nicht nur ökonomische, sondern auch politische und gesellschaftliche Folgen nach sich.Und es hält auch die Inflation auf niedrigstem Niveau. In dem am Donnerstag veröffentlichten Protokoll zur EZB-Zinssitzung in Malta im Oktober unterstrich die Notenbank denn auch ihre Sorge im Hinblick auf das Erreichen des Inflationsziels. Die Währungshüter beklagten, dass die Teuerungsrate womöglich viel länger sehr niedrig bleibt als ursprünglich gedacht. “Solch eine Revision des Inflationsausblicks wurde als potenziell beunruhigend gewertet”, hieß es im Protokoll. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate von knapp unter 2 % an. Im September waren die Preise aber um 0,1 % gesunken.Die wirtschaftliche Erholung, die derzeit im Gange sei, ist nach Einschätzung von Praet zudem eher von “fragiler zyklischer” als struktureller Natur. Die Politik forderte Praet daher auf, sich stärker auf Strukturreformen zu konzentrieren. Die EZB sei schließlich nicht der einzige Spieler auf dem Feld. Auch die Politik müsse ihrer Verantwortung gerecht werden. Praet: “Die EZB kann nicht auf Dauer handeln, während andere Spieler passiv bleiben”, warnte er. In dieser Konstellation sieht er offenbar auch Gefahren für die Glaubwürdigkeit der Notenbank. Positive Wirkung von TLTROImmer wieder gegenüber der EZB geäußerte Vorwürfe, sie würde sich zu sehr nach den Wünschen des Finanzmarktes richten, wies Praet zurück. Mit ihren Äußerungen an die Adresse der Märkte versuche die EZB nur transparent zu machen, mit welchen Fragen sie sich beschäftige. Der Markt müsse quasi verstehen, wie die Notenbank tickt. Das Anleihekaufprogramm TLTRO, das in der Öffentlichkeit bisweilen als Fehlschlag angesehen wird, verteidigte Praet. Die Wirkung sei besser als erwartet, allerdings brauche es wohl etwas länger, bis es wirkt. Auch der Einfluss auf die Inflation sei schwieriger zu bestimmen.Der britische Ökonom Steve Keen von der Kingston University in London warnte die Notenbanken und die Politik, in dieser Situation ihr Heil in einer neuerlichen Verschuldung zu suchen. Deutschland sollten sich viele der angelsächsischen Ökonomen zum Vorbild nehmen im Trachten nach einem ausgeglichenen Haushalt und der relativ geringen privaten Verschuldung. Das Weltbild vieler Ökonomen sei aber “verzerrt”. Anhand makroökonomischer Daten erläuterte er, dass die Finanzkrise aufgrund zu hoher privater Verschuldung entstanden ist, das Wachstum insgesamt zu sehr am Verschuldungstrend hängt und die Entwicklung letztlich auf “japanische Verhältnisse” einer jahrzehntelangen Stagnation hinauslaufe, aus denen es dann kein Entrinnen mehr gibt. Selbst mehr Verschuldung könne die Lage nicht bessern, es sei denn, das von den Notenbanken geschöpfte Geld käme direkt den Konsumenten und der Realwirtschaft zugute.