EZB diskutiert über ihr Inflationsziel
Von Mark Schrörs, FrankfurtIn der Europäischen Zentralbank (EZB) nimmt die Diskussion über die geldpolitische Strategie und nicht zuletzt das Inflationsziel von mittelfristig unter, aber nahe 2 % zu. Im Mittelpunkt der Debatte steht insbesondere das Thema, klarer zu machen, dass es sich um ein symmetrisches Inflationsziel handelt – dass also ein Unterschreiten des Zielwerts genauso schlecht ist wie ein Überschreiten (vgl. auch den Schwerpunkt “Debatte über die EZB-Strategie”, BZ vom 29./30. Mai).EZB-Präsident Mario Draghi hat diesen Punkt erst Mitte Juni beim jährlichen geldpolitischen EZB-Forum in Sintra wieder stark hervorgehoben. Auch bei der letzten geldpolitischen Sitzung Anfang Juni war das ein Thema, wie später aus dem Sitzungsprotokoll hervorging. Und auch EZB-Ratsmitglied Olli Rehn betonte das zuletzt im Interview der Börsen-Zeitung. “Bei Anwendung eines vernünftigen symmetrischen Ansatzes kann die Inflation kurzfristig um etwa 2 % schwanken, um unser Ziel mittelfristig zu erreichen”, sagte er (vgl. BZ vom 5. Juli). Sorge um GlaubwürdigkeitHintergrund der Debatte ist nicht zuletzt die Tatsache, dass die EZB mit wenigen Ausnahmen seit Anfang 2013 ihr Ziel nach unten verfehlt. In der Notenbank wächst deshalb die Sorge, dass das 2-Prozent-Ziel als nicht mehr glaubwürdig angesehen wird. Die marktbasierten Inflationserwartungen sind zuletzt teilweise auf Rekordtief gerutscht, die deutlich unterhalb von knapp 2 % liegen.Da erscheint es nur folgerichtig und selbstredend, wenn sich auch Mitarbeiter der EZB intensiver mit der Frage nach dem Inflationsziel beschäftigen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete gestern, dass der EZB-Stab eine entsprechende Prüfung eingeleitet habe. Tatsächlich beschäftigen sich EZB-Arbeitsgruppen schon länger mit Fragen, welche Lehren aus den Krisen der vergangenen Jahre zu ziehen sind. Den EZB-Ratsmitgliedern seien jetzt in einer Präsentation die symmetrischen Ansätze für das gegenwärtige Ziel vorgestellt worden, hieß es.Dass das EZB-Ziel von unter, aber nahe 2 % symmetrisch ist, ist allerdings keineswegs unumstritten. 1998 hatte der EZB-Rat selbst Preisstabilität definiert als einen mittelfristigen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI von “unter 2 %”. Eine Inflation von 1,5 % schien demnach in jedem Fall besser als eine von 2,5 %. 2003 stellte der Rat dann klar, dass er bei der Definition von 1998 eine Preissteigerungsrate von “unter, aber nahe 2 %” anstrebe. Das machte aus Sicht vieler Experten klar, dass auch eine zu niedrige Inflation zu vermeiden sei. Ob das aber bereits ein symmetrisches Ziel ist, ist weniger klar.Einige Euro-Notenbanker pochen nun darauf, die Symmetrie klarer zu machen. Das würde es der EZB auch erlauben, nach Jahren mit Inflationsraten unterhalb von 2 % künftig Raten von mehr als 2 % zu tolerieren, ohne gleich gegenzusteuern – oder das sogar ganz bewusst anzusteuern.In der US-Notenbank wird aktuell intensiv über eine neue Strategie diskutiert, die angelehnt ist an die Preisniveausteuerung. Dabei würde die Fed nicht jedes Jahr aufs Neue 2 % anvisieren – egal, was zuvor passiert ist. Stattdessen würde sie über einen bestimmten Zeitraum im Durchschnitt 2 % anstreben – deswegen heißt das “Average Inflation Targeting”. In guten wirtschaftlichen Zeiten würden Raten oberhalb von 2 % angestrebt, weil in schlechten Zeiten die Raten unter 2 % liegen dürften.Wenngleich die Diskussion über die EZB-Strategie und das Inflationsziel längst angestoßen ist, dürfte diese aber vor allem ein Thema und eine Herausforderung für die nächste EZB-Präsidentschaft sein. Denn bereits zum 1. November tritt Noch-IWF-Chefin Christine Lagarde die Nachfolge von EZB-Chef Draghi an.