EZB sieht Euroland trotz Brexit-Votum auf Kurs

Volkswirte der Notenbank revidieren Prognosen nur marginal - Draghi gibt Signale für QE-Verlängerung vor Jahresende - Deutschland soll Fiskalspielraum nutzen

EZB sieht Euroland trotz Brexit-Votum auf Kurs

Entgegen vielen Erwartungen hat die EZB ihre Politik vorerst unverändert gelassen. Die Tür für noch mehr Wertpapierkäufe steht jedoch offen. Notenbankchef Mario Draghi sieht aber auch andere in der Pflicht – wie die deutsche Politik.ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht die Wirtschaft im Euroraum trotz Brexit-Votum weiter auf Wachstumskurs und erwartet durch die Entscheidung der Briten für den EU-Ausstieg auf absehbare Sicht nur einen marginalen Dämpfer. In ihren neuen Projektionen sagen die EZB-Volkswirte für das laufende Jahr 1,7 % Wachstum voraus und für die beiden folgenden Jahre jeweils 1,6 % (siehe Grafik). Auf dieser Basis prognostizieren die Ökonomen auch weiterhin einen allmählichen Anstieg der Euro-Inflation von aktuell nur 0,2 % auf 1,6 % im Jahresdurchschnitt 2018. Kein Grund zur LockerungDie neuen Prognosen der EZB-Volkswirte waren mit besonderer Spannung erwartet worden, weil sie erstmals die Folgen des Brexit berücksichtigen. Entsprechend hatte auch EZB-Präsident Mario Draghi bei der Sitzung am 21. Juli die Aufmerksamkeit auf diese Projektionen gelegt. Gegenüber den Juni-Prognosen – vor dem Brexit-Votum – sind die Änderungen “nicht so substanziell”, wie auch Draghi selbst sagte.Vor dem Hintergrund entschied der EZB-Rat gestern auch, dass aktuell kein Grund für eine neuerliche geldpolitische Lockerung bestehe. Der Fokus liege nun auf der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen, sagte Draghi. Der EZB-Rat beließ die Leitzinsen unverändert und kündigte auch keine Verlängerung des Wertpapierkaufprogramms (Quantitative Easing, QE) über das bisherige Enddatum März 2017 hinaus an. Viele Marktteilnehmer und Volkswirte hatten bereits gestern eine solche Ankündigung erwartet.Draghi ließ die Tür für eine Ausweitung von QE allerdings weit offen. Er wiederholte nicht nur die generelle Bereitschaft des EZB-Rats, wenn nötig nachzulegen. Er verwies auch darauf, dass der Rat die zuständigen Fachgremien der Notenbank beauftragt habe, alle Optionen für eine reibungslose Umsetzung des QE-Programms zu prüfen. Damit soll insbesondere verhindert werden, dass es zu Engpässen bei den kauffähigen Titeln kommt, vor allem bei Bundesanleihen. Ob das bereits vor März 2017 droht, ist umstritten. Bei einer Verlängerung allerdings müssen auf jeden Fall zentrale Parameter geändert werden. Insofern ist der Auftrag an die Gremien auch ein Signal. Draghi räumte gestern erstmalig ein, dass es zu Engpässen kommen könnte. Als weiteres Signal für eine QE-Verlängerung betonte Draghi zudem, dass die Erwartung von anhaltendem Wachstum und anziehender Inflation auf der Annahme basiere, dass die Geldpolitik, wie von den Märkten erwartet, weiter ungewöhnlich expansiv bleibt. An den Märkten gilt mehr QE inzwischen als gesetzt.Tatsächlich scheint eine Verlängerung sehr wahrscheinlich, allein schon deshalb, weil die EZB die Käufe kaum von März auf April 2017 auf einen Schlag von aktuell 80 Mrd. Euro monatlich auf null wird herunterfahren wollen. EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch hatte dazu bereits im Frühjahr 2015 im Interview der Börsen-Zeitung gesagt, “,Klippeneffekte` müssen wir auf jeden Fall vermeiden” (vgl. BZ vom 8.4.2015). Als wahrscheinlich gilt auch vielen in der Notenbank, dass man die Käufe irgendwann allmählich auslaufen lässt, ähnlich wie es die US-Notenbank beim “Tapering” gemacht hat.Mit Blick auf die QE-Parameter, an denen spätestens bei einer Verlängerung geschraubt werden muss, hielt sich Draghi bedeckt. Auf die Frage, ob die Experten auch Änderungen an der Aufteilung der QE-Käufe anhand des EZB-Kapitalschlüssels prüfen würden, sagte Draghi lediglich, die Fachleute hätten alle Freiheiten. Am Ende entscheide aber der EZB-Rat. Eine Abkehr vom Kapitalschlüssel und eine Hinwendung etwa auf die am Markt ausstehenden Schulden der Länder gilt als politisch besonders sensibel. Einige Notenbanker sind der Ansicht, dass sich damit der Charakter von QE grundsätzlich ändern würde. Als wahrscheinlichere Optionen gelten, dass die EZB die Vorgabe aufgibt, keine Anleihen zu kaufen, deren Rendite unterhalb des Einlagenzinses von aktuell – 0,4 % liegt, und dass sie die emissionsbezogene Kaufgrenze von 33 % pro Anleihe fallen lässt (vgl. BZ vom 6. September).Leidenschaftlich verteidigte Draghi gestern das QE-Programm gegen Kritik, es sei erfolglos. Das Programm sei im Gegenteil sehr effektiv, wie sich etwa an den gesunkenen Finanzierungskosten im Euroraum zeige. Auf die Frage nach konkreten Schätzungen zu den Effekten von QE und den anderen EZB-Lockerungsmaßnahmen auf Wachstum und Inflation sorgte Draghi mit Zahlen für ein wenig Verwirrung. Die EZB verwies letztlich auf Anfrage auf Aussagen Draghis aus dem April dieses Jahres. Demnach lassen alle EZB-Maßnahmen seit Mitte 2014 das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2016 und 2018 um 1,6 % höher ausfallen und die Inflation 2017 und 2018 um 0,5 Prozentpunkte höher. Entschieden widersprach Draghi auch Kritik vor allem von Banken an der EZB-Politik und speziell dem negativen Einlagenzins. Die niedrigen Zinsen, sagte Draghi, sollten nicht für alle Probleme der Banken verantwortlich gemacht werden. Appell an PolitikDraghi appellierte erneut an die Politik, einen stärkeren Beitrag zu mehr Wachstum im Euroraum zu leisten. “Die Umsetzung von Strukturreformen muss erheblich verstärkt werden”, sagte er. Dabei sprach der EZB-Präsident auch Deutschland explizit an: “Länder, die finanziellen Spielraum haben, sollten ihn nutzen”, sagte Draghi: “Und Deutschland hat haushaltspolitischen Spielraum.”