GASTBEITRAG

EZB steuert weiter in unbekanntes Gewässer hinein

Börsen-Zeitung, 13.11.2013 Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, steuerte die Zentralbank vergangene Woche noch tiefer in unbekanntes Gewässer, als er den Hauptrefinanzierungssatz, zu dem die EZB Geschäftsbanken Geld...

EZB steuert weiter in unbekanntes Gewässer hinein

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, steuerte die Zentralbank vergangene Woche noch tiefer in unbekanntes Gewässer, als er den Hauptrefinanzierungssatz, zu dem die EZB Geschäftsbanken Geld verleiht, auf 0,25 % senkte, sich quasi dazu verpflichtete, bis Mitte 2015 unbegrenzt Liquidität bereitzustellen, und zugleich die Erwartungen der Märkte dahingehend lenkte, dass der EZB-Rat “die Zinsen für einen längeren Zeitraum auf dem gegenwärtigen oder niedrigerem Niveau” erwartet.Die Märkte und auch wir wurden durch den Zeitpunkt der Zinssenkung überrascht. Allgemein war erwartet worden, dass der EZB-Rat bis Dezember warten würde, wenn die EZB ihre Prognosen für Wirtschaftswachstum und Inflation für das Jahr 2015 veröffentlichen wird. Doch so lange wollte die EZB offenbar nicht warten, sondern reagierte stattdessen auf den breit angelegten Rückgang der Verbraucherpreise über Branchen und Länder, der unter die geldpolitische Wohlfühlzone führt.Vor der Zinsentscheidung hörte man immer wieder die Warnung, dass eine Zinssenkung allein die Deflationsrisiken in der Eurozone nicht lösen könne. Das mag sein, aber die Entscheidung und die Aussagen Draghis auf der EZB-Pressekonferenz sind in dreierlei Hinsicht bedeutsam. Erstens: Einige Länder in der Eurozone sind dabei, über eine notwendige Neuausrichtung der relativen Preise ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, was einen weiteren Rückgang der Teuerungsraten bedeutet. Dieser Prozess ist bei niedrigeren Zinsen wesentlich einfacher. Aus dieser Perspektive ist die Zinssenkung zu begrüßen. Zweitens: Obwohl fast die Zinsuntergrenze von null erreicht ist, betonte Draghi, dass die EZB wenn nötig immer noch genügend Werkzeuge zur Verfügung hat, um die Geldpolitik weiter zu lockern. Etwa die Möglichkeit eines negativen Zinssatzes auf die Einlagefazilität, über welche die Banken überschüssige Liquidität bei der EZB “parken” können. Drittens: Durch die Zusage von weiteren Vollzuteilungstendern über 18 Monate bietet die EZB den Banken ein Liquiditätssicherheitsnetz, und das in einer wichtigen Phase, in der die regulatorisch geforderten Stresstests und Asset Quality Reviews anstehen. Das ist für das Vertrauen wichtig. Solvente Banken und Investoren müssen keinen Mangel an Zentralbankliquidität während dieses Prozesses fürchten. Notenbank hält zunächst stillFür 2014 rechnen wir damit, dass die EZB zunächst weniger aktiv sein wird als in den letzten Jahren und weitere Maßnahmen an die Entwicklung der Inflation knüpfen wird. Wir erwarten in der Eurozone im Durchschnitt etwa 1 % Inflation im nächsten Jahr und deutlich unter 2 % im Jahr 2015. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, sinkende verfügbare Realeinkommen und rückläufige Kreditvergabe bilden einen starken Gegenwind, in dem es zunehmend schwierig wird, zwischen gesunden Preisrückgängen (als Teil der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit) und Deflation zu unterscheiden. Und mit einem Anstieg der Verbraucherpreise in der gesamten Eurozone von nur 0,7 % und einem Rückgang in einer Reihe von Ländern kann es sich die EZB kaum leisten, die langfristigen Inflationserwartungen weiter sinken zu lassen aus Sorge, dass die Inflation zu weit unter ihr Ziel sinkt.Um die Inflation im Durchschnitt der Eurozone nahe 2 % zu halten, müsste die Teuerung für Deutschland, die im Oktober nach vorläufiger Schätzung 1,2 % betrug, überdurchschnittlich stark steigen. Angesichts niedriger Realzinsen liegen die Quellen der Inflation in Deutschland wahrscheinlich in Spill-over-Effekten der Nachfrage über Löhne, in den Vermögenswertpreisen oder einer Kombination aus beidem.Doch der Zustrom von Arbeitskräften aus Süd- und Osteuropa nach Deutschland scheint den Lohndruck zu senken. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zogen in den ersten drei Monaten des Jahres 2013 netto 78 000 Personen nach Deutschland, der Anstieg von 4 500 gegenüber dem Vorjahreswert ist vor allem durch eine verstärkte Einwanderung aus Italien und Spanien zu erklären. Es ist daher nicht überraschend, dass die Tariflöhne im Schnitt lediglich um 2,5 % steigen dürften. Während die Erhöhung der Mobilität der Arbeitskräfte eine willkommene Entwicklung ist, legt es doch nahe, dass die Quelle eines höheren Preisanstiegs in Deutschland wahrscheinlich eher über den Vermögenspreiskanal mit unsicheren Spillover-Effekten auf die Verbraucherpreise erfolgt als über Lohnanstiege. Wir schließen daraus, dass die Risiken für die Inflationsprognose für 2014 bis 2015 eher auf der Deflationsseite liegen und dass die EZB letztlich weitere Lockerungsmaßnahmen ergreifen wird. Neue LangfristtenderSpätestens bis zum vierten Quartal des nächsten Jahres erwarten wir von der EZB ein weiteres Langfristrefinanzierungsgeschäft (LTRO) mit dem Ziel, die fälligen Rückzahlungen der Banken an die Zentralbank im Januar und Februar 2015 zu erleichtern. Die Institutionalisierung eines Langfristrefinanzierungsgeschäfts (LTRO) von einem Jahr als Standard-Operation der EZB würde ebenfalls Sinn ergeben.Wir sehen zwei Investment-Implikationen der EZB-Entscheidungen: Zum einen kommen wir aufgrund der niedrigen Renditen auf Euribor-Futures bei der Erwartung konstanter Leitzinsen zu dem Schluss, unsere Positionen am vorderen Ende der Euro-Zinskurve zu reduzieren. Zum anderen glauben wir, dass die EZB-Maßnahmen das Kreditrisiko in kurzlaufenden Anleihen von Peripheriestaaten senken. Südeuropäische Staatsanleihen erfahren nun potenzielle Unterstützung durch zwei Maßnahmen der EZB: die Garantie der EZB, im Rahmen ihres Anleihenkaufprogramms (Outright Monetary Transactions, OMT) Anleihen eines Landes zu kaufen, sowie die unbegrenzte Liquiditätsversorgung der Banken für weitere 18 Monate. Während die Umsetzung von Strukturreformen in den einzelnen Staaten entscheidend ist, halten wir aufgrund dieser beiden Säulen der EZB-Unterstützung die Renditen von Peripherieanleihen kurzer bis mittlerer Laufzeit für interessant.—-Andrew Bosomworth, Leiter des deutschen Portfoliomanagements von Pimco