EZB-Umfrage: Neuordnung der Weltwirtschaft bringt Nachteile für Euroland
Neuordnung der Weltwirtschaft bringt Kosten für Euroland
EZB-Umfrage: Großkonzerne reagieren auf Geopolitik und steigende Energiekosten – Weniger Beschäftigung, mehr Inflation
ms Frankfurt
In der Eurozone tätige Großkonzerne sind laut einer neuen EZB-Umfrage zunehmend aktiv, wenn es um die globale Verlagerung ihrer Produktionsstätten und neue Bezugsquellen für Vorleistungen geht. Zunehmende geopolitische Risiken führten dabei zu einer stärkeren Aktivität in der EU, während Entwicklungen wie steigende Energiepreise für Abwanderung sorgten, wie aus der am Montag veröffentlichten Erhebung hervorgeht. Die Mehrheit der Konzerne geht aber davon aus, dass mehr Aktivität aus der EU hinaus als in sie hinein verlagert wird. Unter dem Strich erwarten sie auf Sicht der nächsten fünf Jahre negative Folgen für die Beschäftigung und höhere Preise.
Zunehmende De-Globalisierung
Die Ergebnisse der Umfrage sind in vielfacher Hinsicht interessant. Zum einen liefern sie wichtige empirische Erkenntnisse für die vielfach noch recht abstrakte Diskussion über eine De-Globalisierung und Fragmentierung der Weltwirtschaft infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Zum anderen richten sie konkret für die Eurozone den Fokus auf Folgen für Wachstum, Beschäftigung und Inflation. In Sachen Preisen nährt sie dabei Einschätzungen, dass die De-Globalisierung ein Grund für eine künftig strukturell höhere Inflation sein könnte.
Für ihre Umfrage, die Teil ihrer neuen Wirtschaftsberichts ist, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Sommer 2023 Großkonzerne befragt, die einen wichtigen Teil ihres Geschäfts in der Eurozone abwickeln. Sie erhielt dabei 65 Antworten. Die Zahl ist vergleichsweise gering; die Notenbankexperten verweisen aber darauf, dass wegen der Größe der Unternehmen die Ergebnisse Aussagekraft hätten.
"Wechsel der Prioritäten"
Laut der Umfrage ist die Zahl jener Firmen, die in den nächsten fünf Jahren auf „Near-Shoring“, Diversifizierung oder „Friend-Shoring“ setzen, deutlich größer als die Zahl jener, die das bereits in den vergangenen fünf Jahren getan haben – etwas mehr als 70% gegenüber knapp mehr als 40%. Bei „Near-Shoring“ geht es vor allem um geografisch nahe gelegene Staaten, bei „Friend-Shoring“ um befreundete Staaten. Als wichtigsten Grund für Verlagerung in die EU hinein gaben die Konzerne geopolitische Risiken an, für die Verlagerung aus der EU hinaus vor allem Nachfrage- und Kostengründe – also etwa Arbeits- und Energiekosten. Die EZB spricht von einem "Wechsel der Prioritäten", weil es nicht mehr nur um Kostenerwägung gehe.
Laut der Umfrage ist aber unter dem Strich der Anteil der Unternehmen, die ihre Produktion aus der EU hinaus verlagern wollen, höher als der Anteil jener, die ihre Produktion in die EU hinein verlagern wollen. Mit Blick auf die Konsequenzen gehen die Konzerne davon aus, dass die Trends kaum Einfluss haben werden auf ihre Wertschöpfung innerhalb der EU. Bei der Beschäftigung sehen sie indes signifikante Folgen, wobei sie von einer deutlich geringeren Beschäftigung in der Zukunft ausgehen.
Für die EZB sind insbesondere aber auch die Folgen für die Inflation interessant. Mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre haben sich die Preise laut den Konzernen durch Produktionsverlagerungen und neue Lieferströme erhöht (siehe Grafik). Auch für die nächsten fünf Jahre sagen sie erhöhte Preise voraus, wenn auch in geringerem Ausmaß als zuletzt. Nach der Inflationswelle der vergangenen zwei Jahre tobt derzeit eine Diskussion, inwieweit künftig dauerhaft mehr Inflation als vor der Pandemie zu erwarten ist.
China als größtes Risiko
Bei dem Bezug von Vorleistungen gehen laut den Konzernen derzeit von China die größten Risiken aus. Zwei Drittel der befragten Firmen nannten das Reich der Mitte als Land, das für die Lieferketten in ihrer Branche ein Risiko berge. Die USA folgen weit dahinter. Viele Konzerne bezeichneten es als sehr schwierig, sich unabhängig von China zu machen. Gleichwohl arbeiten viele an entsprechenden Strategien. Auch die Politik dringt auf weniger Abhängigkeit von China.