EZB-Urteil schlägt hohe Wellen

Bundesregierung um Deeskalation bemüht - Brüssel prüft Verfahren - Bundesbank rückt in den Fokus

EZB-Urteil schlägt hohe Wellen

Auch eine Woche nach dem Paukenschlag aus Karlsruhe sorgt das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch immer für kontroverse Diskussionen in Berlin, Brüssel und Frankfurt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die derzeitigen Spannungen als “heilbar” an. Die EU-Kommission prüft aber schon ein Verfahren.ahe/ms Brüssel/Frankfurt – Im Streit über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den EZB-Anleihekäufen versucht die Bundesregierung, die Wogen wieder etwas zu glätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die entstandene Situation als “heilbar”, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Anleihenaufkäufe erkläre. Agenturberichten zufolge forderte Merkel in einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums eine “kluge” Antwort auf den Karlsruher Richterspruch. Das Urteil sei von großer Bedeutung.Es sei verständlich, wenn die EU-Kommission deutlich mache, dass nationale Gerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht infrage stellen könnten, sagte Merkel. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte gestern in Berlin zudem, den grundsätzlichen Auslegungsvorrang des EuGH zweifele nach Analyse der Bundesregierung auch das Verfassungsgericht mit seinem Urteil nicht an. “Es gilt nach wie vor, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) der sogenannte Hüter der Europäischen Verträge ist”, sagte er.Das Bundesverfassungsgericht hatte sich am Dienstag zum ersten Mal in der Geschichte über ein Urteil des EuGH hinweggesetzt und das EZB-Anleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) als nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet. Die Richter hatten sowohl der EZB als auch dem EuGH vorgeworfen, jenseits ihrer Kompetenzen (“ultra vires”) agiert zu haben. Die EZB habe die Verhältnismäßigkeit der Käufe nicht ausreichend überprüft und nachgewiesen. Das müsse sie binnen drei Monaten nachholen – sonst dürfe sich die Bundesbank nicht mehr beteiligen. Das Urteil war in vielen Teilen Europas scharf kritisiert worden.EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende angekündigt, Brüssel prüfe ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Sie verwies noch einmal darauf, dass die Währungspolitik der Union ausschließlich eine Angelegenheit der Europäischen Union sei, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht habe und dass EuGH-Urteile für alle nationalen Gerichte bindend seien. “Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst”, sagte sie. Lob für Karlsruhe aus PolenDer polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki lobte unterdessen das Karlsruher Urteil als eines der wichtigsten in der EU-Geschichte. Vielleicht sei jetzt zum ersten Mal in solcher Klarheit gesagt worden: Die Verträge würden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmten, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen lägen, erklärte er in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”. Im EU-Parlament war in den vergangenen Tagen wiederholt gewarnt worden, das Karlsruher Urteil könne dazu führen, dass Länder mit Rechtsstaatsproblemen wie Polen und Ungarn sich künftig nicht mehr an Entscheidungen des EuGH gebunden fühlten.In dem konkreten Fall der EZB-Anleihekäufe schlug Merkel gestern eine Art Kompromisslösung vor, wie Bloomberg berichtete. Die Bundesbank solle als eine Art Intermediär fungieren, der im Namen der EZB gegenüber dem Verfassungsgericht die Verhältnismäßigkeit erkläre.Auch in Notenbankkreisen heißt es immer wieder, dass nun der Bundesbank eine besondere Rolle zukomme (vgl. auch BZ vom 8. Mai). Die EZB steckt in einem gewissen Dilemma: Einerseits will sie den Konflikt mit Karlsruhe nicht unbedingt verschärfen. Andererseits will sie keinen Präzedenzfall schaffen, indem sie sich gegenüber einem nationalen Gericht oder Parlament rechtfertigt.EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel untermauerte unterdessen, dass die EZB trotz des Karlsruher Urteils ihre Wertpapierkäufe fortsetzen werde. Dies geschehe im Einklang mit dem Mandat der Notenbank, sagte Schnabel der italienischen Tageszeitung “La Repubblica”. Nur der EuGH sei auf juristischer Ebene zuständig für die EZB.