EZB warnt vor deutlich höheren Schulden

Neu entflammte Diskussion über die Finanzpolitik

EZB warnt vor deutlich höheren Schulden

ms Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Euro-Staaten davor gewarnt, in großem Stil neue Schulden aufzunehmen in der Hoffnung, dass das Wirtschaftswachstum längerfristig oberhalb der Verzinsung der Staatsschulden liege und sich deshalb keine Probleme für den Schuldenstand ergäben. “Im Euro-Währungsgebiet sollte das derzeitige, auf die Staatsverschuldung bezogene niedrige Zins-Wachstums-Differenzial insbesondere von Ländern mit eingeschränkten Haushaltsspielräumen nicht als Anreiz zur Erhöhung des öffentlichen Schuldenstands aufgefasst werden”, heißt es im neuen EZB-Wirtschaftsbericht.Die Differenz zwischen der Durchschnittsverzinsung der Staatsschuld und dem nominalen Wirtschaftswachstum, das sogenannte Zins-Wachstums-Differenzial, gilt als eine zentrale Variable für die Entwicklung der Staatsverschuldung und die Analyse der Schuldentragfähigkeit. Ein durchweg negatives Zins-Wachstums-Differenzial bedeutet de facto, dass die Schuldenquote selbst bei einem bestehenden Primärdefizit verringert werden könnte.Mit ihrer Analyse schaltet sich die EZB in die neu entflammte Diskussion über die Rolle der Finanzpolitik ein. Ex-IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard hatte diese Anfang 2019 angestoßen (vgl. BZ vom 1. März). Blanchard argumentiert, dass bei einem negativen Zins-Wachstums-Differenzial aus der Staatsverschuldung nicht zwangsläufig Haushaltsbelastungen entstünden. Die Wohlfahrtsverluste könnten zudem niedriger ausfallen als allgemein angenommen. Wenngleich Blanchard explizit nicht per se für höhere Schulden plädiert, stützen sich viele Befürworter einer ausgabenfreudigeren Finanzpolitik auf seine Thesen.Die EZB warnt nun vor falschen Schlüssen. Zwar habe sich in der jüngeren Zeit das Zins-Wachstums-Differenzial in den meisten Industrieländern, darunter auch Staaten des Euro-Währungsgebiets, ins Negative gekehrt. So sei es im Jahr 2017 gemäß der Herbstprognose 2018 der EU-Kommission in allen Euro-Staaten außer Italien negativ gewesen. Zudem werde das Differenzial wohl bis zum Jahr 2020 in allen Euro-Ländern außer Italien im negativen Bereich bleiben – auch wenn es in zwölf Staaten leicht steigen dürfte. Das sei aber kein Grund für eine deutlich steigende Schuldenaufnahme.Empirisch gesehen sei das Zins-Wachstums-Differenzial in Industrieländern über längere Zeiträume hinweg positiv gewesen und habe sich um einen Wert von 1 Prozentpunkt herumbewegt, so die EZB. Auch für die größten Euro-Länder ließen sich in aller Regel positive Werte beobachten. Zudem weise nicht nur der Zinssatz seit den 1980er Jahren einen eindeutig rückläufigen Trend auf. Bis zu einem gewissen Grad treffe dies auch auf die Wachstumsrate zu. Gefahren für die Wirtschaft”Eine hohe Staatsverschuldung birgt erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen”, mahnt die EZB erneut. Die EZB hat wiederholt betont, dass eine hohe öffentliche Schuldenlast etwa die Anfälligkeit einer Volkswirtschaft gegenüber makroökonomischen Schocks verstärke und die Handlungsmöglichkeiten der antizyklischen Fiskalpolitik begrenze. Zudem bremsten Schulden letztendlich das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft.Die EZB argumentiert, dass wirksam eingesetzte öffentliche Ausgaben und Investitionen das mittelfristige Potenzialwachstum eines Landes steigern und die negativen Effekte eines Wirtschaftsabschwungs abmildern könnten. Derzeit sei eine solche antizyklische Finanzpolitik für die meisten Euro-Staaten wegen der hohen Verschuldung aber kaum möglich. Es komme jetzt darauf an, diese Anfälligkeiten zu begrenzen, also die Schulden abzubauen.