EUROPÄISCHE WÄHRUNGSUNION

Faust aufs Auge

Die einen warnen eindringlich vor der Haftungsunion, die anderen wollen sie nach Kräften vorantreiben. Als die 154 Wirtschaftsprofessoren - spät, aber immerhin - ihr am Dienstag via "FAZ" verbreitetes Petitum formulierten, die europäische Währungs-...

Faust aufs Auge

Die einen warnen eindringlich vor der Haftungsunion, die anderen wollen sie nach Kräften vorantreiben. Als die 154 Wirtschaftsprofessoren – spät, aber immerhin – ihr am Dienstag via “FAZ” verbreitetes Petitum formulierten, die europäische Währungs- und Bankenunion dürfe nicht noch weiter zu einer – seit Beginn der Staatsschuldenkrise ja längst etablierten – Haftungsunion ausgebaut werden, kannten sie die Ideen der italienischen Koalitionspartner Fünf-Sterne-Bewegung und Lega wohl noch nicht in allen Details. Aber auch ohne dass Italien in dem Appell der Wissenschaftler explizit erwähnt wird, passen deren Argumente angesichts der Entwicklung in Rom umso mehr wie die Faust aufs Auge. Die Forderung nach einem Schuldenerlass von 250 Mrd. Euro etwa – es wäre nur eine weitere Eskalationsstufe der europäischen Praxis, andere für eigene Risiken in Haftung zu nehmen – mag vorerst aus den Papieren der Populisten verschwunden sein. Aus ihren Köpfen gewiss nicht. Am stramm antieuropäischen Konfrontationskurs der künftigen Regierung, die ihren ersten Skandal – Ministerpräsidentenkandidat Giuseppe Conte soll seinen Lebenslauf geschönt haben – noch vor dem Antritt hat, besteht kein Zweifel. Was die Ökonomen kannten, und darauf nehmen sie Bezug, sind die Europa-Initiative des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und die Vorstellungen von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Ihrer messerscharfen Gedankenführung, die die Gefahren weiterer Vergemeinschaftungen auf den verschiedenen Ebenen – europäischer Finanzminister mit “Fiskalkapazität”, Währungsfonds nach EU-Recht, Einlagensicherung et cetera – so knapp wie zutreffend verdeutlicht, ist aus ökonomischer Sicht kaum zu widersprechen. Die politische Perspektive kann eine andere sein. Aber wer mit dem Primat der Politik frontal gegen jede wirtschaftliche Logik anregiert, wie es in Italien Tradition hat und im Ergebnis an den volkswirtschaftlichen Eckdaten abzulesen ist, bekommt für seinen ökonomischen Schlendrian eben unweigerlich auch eine politische Rechnung präsentiert.Die aktuelle Lage der Union ist geradezu bizarr. Großbritannien steht vor dem EU-Austritt, das Frankreich Macrons will den Währungsverbund, de facto über eine ausgeweitete Haftungs- und Transferunion, vertiefen, Italien kokettiert mit dem Abschied vom Euro, Deutschland wirkt orientierungslos. Europa am Scheideweg: Das ist nicht gänzlich neu. Aber es erscheint sicher nicht übertrieben, eine dramatische Zuspitzung zu konstatieren.