Finanzamtszins muss sinken
wf Berlin
Bund und Länder müssen sich auf Steuerausfälle aus den sogenannten Finanzamtszinsen einstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen von 0,5% im Monat, also 6% im Jahr, seit 2014 für „evident verfassungswidrig“ erklärt. In der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung verwies das Gericht auf die „Niedrigzinsphase seit dem Jahr 2014“. Für Steuerbescheide für die Verzinsungsperiode bis 2018 darf der alte Satz noch angewendet werden, von 2019 an nicht mehr. Der Gesetzgeber hat bis 31. Juli 2022 Zeit für eine Neuregelung. Dies wird wegen der Bundestagswahl erst in die neue Legislaturperiode fallen.
Bund und Länder wollen nach eigenem Bekunden zügig handeln. „Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner heutigen Entscheidung Rechtsklarheit geschaffen“, sagte Steuerstaatssekretär Rolf Bösinger in Berlin. „Das Bundesfinanzministerium wird zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zügig die Vorbereitungen treffen, um die Entscheidung des Verfassungsgerichts umzusetzen.“ Hessens Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) kündigte an, sich in diesen Prozess intensiv einzubringen. „Eine Anpassung des Zinssatzes ist längst überfällig“, sagte Boddenberg. „Hessen ist schon lange der Meinung, dass es Zeit ist zu handeln.“
Abgesehen von den zurückliegenden Corona-Ausnahmejahren, in denen Steuern und Nachzahlungen gestundet wurden, sind die hohen Finanzamtszinsen ein gutes Geschäft für den Staat. In regulären Jahren lagen die Zinsen für Nachzahlungen deutlich höher als für Erstattungen. Der positive Saldo für die öffentliche Hand erreicht nach Schätzungen rund 1 Mrd. Euro. Konkrete Zahlen hatte die Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der FDP im Bundestag nur für Einkommen-/Lohnsteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer genannt (siehe Grafik). Nicht erfasst ist darin die Gewerbesteuer, die Unternehmen zahlen. Ihr Aufkommen übertrifft das der Körperschaftsteuer und geht an die Gemeinden.
Fixer oder variabler Zins
Betroffen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nur der Zinssatz auf Erstattungen und Nachzahlungen nach § 233a Abgabenordnung. Den Hinterziehungszins, Aussetzungszins oder Stundungszins, auf die der Steuerpflichtige mit seinem Verhalten Einfluss nehmen kann, haben die Richter nicht angetastet.
Freie Hand lassen sie dem Gesetzgeber, wie eine künftige Regelung aussehen muss. Hessen hatte in einer Bundesratsinitiative eine Halbierung der Finanzamtszinsen auf 3% angeregt, aber dafür keine Mehrheit unter den Ländern finden können. Neben einem fixen Satz, der regelmäßig überprüft werden müsste, wäre auch ein variabler Zinssatz möglich, der an eine Referenzgröße geknüpft wird. Die Richter erklärten: „Ein variabler Zinssatz bewirkt nicht per se eine geringere Ungleichheit als ein starrer Zinssatz.“
Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Joachim Lang, forderte nach dem Urteil, den Zinssatz zu senken und dauerhaft verfassungsfest zu regeln. Die geforderte Neuregelung gebe den Unternehmen endlich mehr Planungssicherheit, so Lang. „ Sinnvoll ist eine Regelung, die auf Änderungen des Zinsniveaus reagiert“, hielt er fest. Dies hatte die FDP im Bundestag vorgeschlagen. Lang wies darauf hin, dass die Steuernachzahlungen oft erst durch Betriebsprüfungen fällig würden und die Unternehmen erheblich belasteten.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Deutschland begrüßte das Urteil. Es trage seiner langjährigen Forderung nach marktgerechten Zinsen im Steuerrecht Rechnung, sagte Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann. Der Gesetzgeber solle nun die Gelegenheit nutzen, um die Verzinsung im Steuerrecht ganzheitlich anzugehen. Dies betrifft Naumann zufolge besonders den steuerlichen Abzinsungssatz von 6% zur Bewertung von Pensionsverpflichtungen (§ 6a EStG). Dieser sei zu hoch und marktfern. „Er belastet die Unternehmen und schwächt die betriebliche Altersvorsorge“, so Naumann.