Finanzsektor kann Klimaschutzinvestitionen in der EU beflügeln
In diesem Jahr haben sich Millionen junger Menschen weltweit der Klimaschutzbewegung angeschlossen. Sie forderten Taten statt Worte und gehen auf die Straße, damit der Planet gerettet wird, bevor es zu spät ist. So wurde der Klimawandel auch ein zentrales Thema bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Auch wenn die EU fest entschlossen ist, ihre Klimaziele zu erreichen, moniert die jüngere Generation zu Recht, dass wir mehr tun müssen. Deshalb sind wir einen Schritt weiter gegangen: Geht es nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission, wird Europa bis 2050 als erste große Volkswirtschaft der Welt klimaneutral sein. Das ist leicht gesagt. Man sollte Auswirkungen und Größenordnung eines solchen Vorhabens nicht unterschätzen. Es bedarf eines breit angelegten Umbaus und eines industriellen Wandels, der sich auf alle EU-Länder, ihre Gesellschaften und Volkswirtschaften erstreckt. Dies geschieht nicht über Nacht und ist keineswegs umsonst zu haben.Damit Emissionen zurückgehen, muss überall kräftig investiert werden. Wir sollten die Entwicklung von CO2-armen oder -freien Technologien vorantreiben. Elektromobilität, Solar- und Windenergie sind nur einige Beispiele, ebenso die Steigerung der Energieeffizienz von Wohngebäuden. Die Industrie muss bereits jetzt verbindliche Umweltziele erfüllen und Emissionsgrenzwerte bei Fahrzeugen, Vorgaben für den Anteil erneuerbarer Energien und für Energieeffizienz einhalten.Dafür waren schon erhebliche Investitionen erforderlich. Sie reichen noch nicht aus, damit Europa die Ziele des Pariser Klimaschutzübereinkommens erreicht und klimaneutral wird. Wir müssen in den nächsten Jahrzehnten jährlich 175 bis 290 Mrd. Euro zusätzlich investieren. Dazu wird die EU mindestens 25 % der Ausgaben, die in der Haushaltsplanung für sieben Jahre von 2021 an veranschlagt sind, für den Klimaschutz aufwenden müssen. Aber das wird immer noch nicht genug sein: Wir müssen den privaten Sektor dafür gewinnen, Kapital für Wirtschaftstätigkeiten zu mobilisieren, die den Klimawandel eindämmen – unter anderem mit grenzüberschreitenden “grünen” Investitionen. Finanzbranche ins Boot holen In der EU wollen wir Banken, Vermögensverwalter, institutionelle Anleger, Unternehmen und Kapitalmärkte dafür gewinnen, verstärkt auf ein nachhaltiges Finanzwesen zu setzen. Damit liegen wir auf einer Linie mit der klaren Forderung der Öffentlichkeit nach klimafreundlichen Investitionen. Für viele Menschen ist es nicht mehr akzeptabel, in Unternehmen zu investieren, die Umwelt verschmutzen oder Arbeitnehmer nicht gerecht entlohnen.Aber wie ist sicherzustellen, dass Geldanlagen Gutes für den Planeten bewirken? Zunächst müssen wir definieren, was “grün” bedeutet. Wenn wir EU-weit eine gemeinsame Sprache für nachhaltige Finanzen entwickeln, werden Verbraucher und Investoren ökologisch nachhaltige Tätigkeiten leichter erkennen können. Unser Vorschlag für ein EU-Klassifikationssystem – die “Taxonomie” – ist ein entscheidender Schritt, der “grüne” und nachhaltige Projekte für Investoren attraktiver machen wird. Es muss uns gelingen, bis Ende Oktober eine politische Einigung zwischen den EU-Ländern zu erzielen.Die EU-Kommission arbeitet derzeit mit Unterstützung einer Expertengruppe Kriterien für wirtschaftliche Tätigkeiten aus, die erheblich zur Linderung des Klimawandels bzw. zur Anpassung daran beitragen. In den nächsten zwei Jahren sollen technische Arbeiten in anderen Umweltbereichen folgen. Dazu gehören die nachhaltige Nutzung von Wasser und Meeresressourcen, Kreislaufwirtschaft, Schadstoffbekämpfung und gesunde Ökosysteme.Die EU hat zudem kürzlich zwei Rechtsvorschriften verabschiedet, die Anreize für Investitionen in “grüne” Finanzprodukte bieten sollen. Dank strengerer Regeln für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsfaktoren für Endanleger wird es einfacher, bei Investitionen in ein Finanzprodukt fundierte Entscheidungen zu treffen. Investitionsfonds, Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds, Banken und Finanzberater müssen ihre Kunden in Zukunft informieren, wie Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Anlagestrategien berücksichtigt werden.Zwei neue Kategorien von EU-Klimabenchmarks – freiwillige Labels – werden mehr Aufschluss über die CO2-Bilanz eines Investitionsportfolios geben: Eine Kategorie wurde für den klimabedingten Wandel entwickelt, die zweite hilft beim Aufbau eines auf die Temperaturziele des Pariser Übereinkommens abgestimmten Portfolios. So können Investoren, die eine klimabewusste Anlagestrategie verfolgen wollen, gezielter in nachhaltigere und CO2-ärmere Anlagen investieren.Mit unserer Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen soll ein EU-Standard für “grüne” Anleihen eingeführt, das Berichtswesen in Klimaschutzfragen transparenter gestaltet und das EU-Umweltzeichen auch für Finanzprodukte vergeben werden. Kooperation zählt Wenn wir unsere europäischen und internationalen Klimaschutzziele erreichen wollen, brauchen wir starkes Engagement und enge Zusammenarbeit zwischen Institutionen, Regierungen, Finanzsektor, Unternehmen und Bürgern. Deutschland spielt dabei auf europäischer und internationaler Ebene eine besonders aktive und konstruktive Rolle. Die deutschen Finanzinstitute und Unternehmen tragen ganz erheblich dazu bei, unsere Agenda für nachhaltiges Finanzwesen voranzubringen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Bekämpfung des Klimawandels hohe Priorität bei den deutschen Bürgern hat.Wir müssen rasch handeln. Die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg brachte es so auf den Punkt: “Wir können nicht so lange warten, bis wir erwachsen sind und selbst die Verantwortung haben.” Valdis Dombrovskis ist Vizepräsident der Europäischen Kommission. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——Valdis DombrovskisUm die Klimaschutzziele in Europa zu erreichen, wollen wir die Finanzbranche dafür gewinnen, verstärkt auf nachhaltige Finanzen zu setzen.³