Corona-Pandemie

Folgenreicher Lockdown in Schanghai

Abrupte Corona-Restriktionen in der Wirtschafts- und Finanzmetropole schüren in Wirtschaftsverbänden Sorgen über wirtschaftliche Verwerfungen. Deutsche Post DHL hat bereits reagiert.

Folgenreicher Lockdown in Schanghai

nh/rec Schanghai/Frankfurt

Ein in dieser Form beispielloser Lockdown der Wirtschaftsmetropole Schanghai hat Sorgen vor weitreichenden wirtschaftlichen Verwerfungen ausgelöst nicht zuletzt in Deutschland. Als einer der ersten internationalen Konzerne in China handelte am Montag die Deutsche-Post-Tochter DHL: Der Logistikkonzern schloss bis auf Weiteres sein Drehkreuz in Schanghai. Deutsche und europäische Wirtschaftsverbände befürchten Planungs- und Lieferkettenprobleme.

Entgegen bisherigen Zusicherungen, Corona-Restriktionen gering zu halten, hat die Stadt- und Provinzregierung Chinas der Wirtschaftskapitale einen vorläufig bis 5. April währenden harten Lockdown verordnet. Schanghai stand 2021 für knapp 4% der gesamtchinesischen Wirtschaftsleistung. Mit einem erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt (BIP) von umgerechnet mehr als 630 Mrd. Dollar stünde Schanghai für sich genommen weltweit auf Platz 21 hinter der Schweiz, gleichauf mit Argentinien.

Mit Blick auf die herausragende Bedeutung der 25-Millionen-Einwohner-Stadt als Handels-, Finanz- und Industrie-Drehkreuz ist dieser in zwei Phasen unterteilt. Seit Montag ist die Pudong (östlich des Huangpu-Flusses) genannte Seite des Stadtgebiets für vier Tage völlig abgeriegelt. Anschließend ist die als Puxi (westlich des Flusses) bekannte Stadtseite ab dem 1. April ebenfalls für vier Tage dran. In den jeweiligen Lockdown-Phasen werden alle Anwohner mindestens zweimal getestet und Covid-positive Fälle je nach Symptomlage in Quarantäneeinrichtungen oder Krankenstationen überwiesen. Jeglicher Wirtschafts- oder Personenverkehr zwischen den beiden Stadthälften bleibt für die Gesamtdauer gesperrt.

Die Behörden begründen diese für China einmalige Lockdown-Strategie mit einer verbesserten Stringenz der Massentests und dem Aufdecken von Ansteckungs-Clustern bei gleichzeitiger Rücksichtnahme auf Schanghais Sonderstellung im Wirtschaftsgefüge. Durch die Begrenzung des Lockdowns auf jeweils vier Tage in den Stadtgebieten wolle man verhindern, die Konjunktur lahmzulegen, hieß es. Auch gewährleiste man, dass die für den nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehr zentralen Einrichtungen – Flughäfen, Bahnhöfe und Seefrachteinrichtungen bis zu Wertpapierbörsen – im Normalbetrieb gehalten werden.

Das scheint zumindest im Fall von Deutsche Post DHL nicht zu funktionieren. Sie hat ihr regionales Verteilzentrum für Luftfracht von DHL Express am Flughafen Schanghai „bis zur Aufhebung des Lockdowns ausgesetzt“, wie das Unternehmen laut der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte. „Die Wiederaufnahme des Betriebs wird von lokalen Präventionsmaßnahmen abhängig sein.“ Vom Lockdown könnten bis zu 2100 deutsche Unternehmen betroffen sein, die nach Angaben der Auslandshandelskammer dort aktiv sind.

Seitens des Schanghai-Büros der EU-Handelskammer, also der Lobbyvertretung europäischer Unternehmen, hieß es am Montag, die Maßnahmen würden ausländische Unternehmen angesichts ihrer begrenzten Produktionskapazitäten vor große Probleme stellen und enorme Unsicherheit schaffen. Gegenwärtig sei nur noch eine Planung auf Ein-Tages-Basis möglich. Man müsse befürchten, dass es bei einer Fortsetzung von Restriktionen über Monate hinweg zu heftigen Umsatzbeeinträchtigungen kommen werde.

Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Industrieverbands DIHK, sagte Reuters: „Die Stimmung unter den deutschen Unternehmern ist vor dem Hintergrund des neuerlichen Lockdowns und von ohnehin gedämpften Wachstumserwartungen merklich eingetrübt.“ Außenhandelsexperten und Analysten befürchten neue Probleme beim Warentransport. Die Lieferzeiten könnten sich verlängern, die ohnehin hohen Frachtraten weiter steigen.

Mit dem Lockdown in Schanghai testet die Pekinger Zentralregierung ihre Maxime, grundsätzlich an der Nulltoleranzpolitik festzuhalten. Priorität hat demnach, Ansteckungswellen früh und entscheidend zu unterbinden, aber dennoch negative konjunkturelle Folgewirkungen weitestgehend zu reduzieren. In den letzten Tagen hat sich Schanghai zwar als „Epizentrum“ einer neuen Coronawelle in China erwiesen, allerdings sind die Inzidenzen im Abgleich mit der Bevölkerungszahl weiterhin gering. Am Montag wurden landesweit 6215 Neuansteckungen gemeldet (siehe Grafik), davon knapp 5000 symptomfrei. Mehr als die Hälfte, nämlich 3500, wurden in Schanghai gemeldet. Der Fokus der Schanghaier gilt denn auch den gravierenden Behinderungen aus den vergleichsweise radikalen und abrupt verkündeten Restriktionen.

Wertberichtigt Seite 6

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