WIRTSCHAFTSKRISE IM ANMARSCH

Forderungen nach EU-Hilfen

Italien fürchtet einen wirtschaftlichen Infarkt - Premier Conte: "dunkelste Stunde" des Landes

Forderungen nach EU-Hilfen

Die italienische Regierung greift zu beispiellosen Aktionen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die “Sicherheitszonen” mit insgesamt 16 Millionen Einwohnern treffen die wirtschaftsstärksten Regionen. Regierung und Wirtschaft des hoch verschuldeten Landes hoffen auf die Europäische Union.bl Mailand – In Italien wachsen nach der Abriegelung großer Teile des Nordens die Sorgen vor einer schweren Wirtschaftskrise. Die Forderungen nach einem großen wirtschaftlichen Hilfsprogramm der EU werden zunehmend lauter. Unterdessen brach die Mailänder Börse um 12 % ein, der Zinsabstand zwischen deutschen und italienischen Staatsbonds stieg von knapp 165 auf über 220 Basispunkte.Für Carlo Sangalli, den Präsidenten des Handelsverbands Confcommercio, handelt es sich bei den verhängten Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie um ein “Ereignis ohne Vorbild”. Es müsse nun die Liquidität der Unternehmen sichergestellt werden, man brauche öffentliche Investitionen, die Gewährleistung des Zugangs zu Krediten und die Stützung des Konsums. “Die EU hat keine adäquate Antwort gegeben”, meint Sangalli.Auch der Wirtschaftsprofessor Giuseppe Berta von der Mailänder Bocconi-Universität hält die Dramatik der Lage für “beispiellos”. Er fordert im Gespräch mit der Börsen-Zeitung “starke ökonomische und politische Initiativen”. Und der renommierte Ökonom Carlo Cottarelli ist der Auffassung, es sei eine “europäische Antwort” notwendig. “Ich sehe keine andere Lösung als eine Initiative zur Unterstützung der Wirtschaft, die durch die Ausgabe von Euro-Bonds finanziert werden muss”, sagte der frühere IWF-Ökonom der BZ. Der Chef des Industrieverbandes Confindustria, Vincenzo Boccia, verlangt ein europäisches Investitionsprogramm im Umfang von 3 Bill. Euro.Premierminister Giuseppe Conte hatte erst am Freitag ein Hilfsprogramm von 7,5 Mrd. Euro verkündet, das etwa Kurzarbeitsregelungen und Hilfen für Eltern, die eine Kinderbetreuung brauchen, vorsieht. Das reicht nach Sangallis Einschätzung, der den bereits bisher entstandenen Schaden auf 12 Mrd. Euro schätzt, bei weitem nicht. Vor allem Tourismus, Hotels, Gaststätten und kulturelle Einrichtungen verzeichnen dramatische Einbrüche. Angesichts der hohen Verschuldung von 135 % des Bruttoinlandsprodukts sind aber die budgetpolitischen Spielräume Italiens begrenzt.Regierungschef Giuseppe Conte hatte in der Nacht auf Sonntag die Lombardei sowie 14 weitere Provinzen in den Regionen Piemont, Emilia-Romagna, Venetien und Marken mit 16 Millionen Einwohnern zu “Sicherheitszonen” erklärt. Zwar sind noch Reisen möglich, doch die individuellen Reisemöglichkeiten von und in die betroffenen Zonen sowie innerhalb der betroffenen Regionen sind stark eingeschränkt. Reisen aus gesundheitlichen Gründen, von und zum Arbeitsplatz sind möglich. Bei Zuwiderhandlungen drohen Geld- oder Gefängnisstrafen. Theater, Museen und Sportstätten wurden geschlossen. Bars und Restaurants dürfen – unter strengen Auflagen – nur noch bis 18 Uhr öffnen. Schulen und Universitäten bleiben bis mindestens 3. April geschlossen. Im übrigen Land gelten ebenfalls Einschränkungen. In der Sicherheitszone wird die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts Italiens erwirtschaftet. Sie steht für zwei Drittel der Exporte.Erst auf Drängen Boccias hatte Rom präzisiert, dass beruflich bedingte Reisen möglich sind. Während in vielen Unternehmen seit Wochen in Heimarbeit gearbeitet wird, ist das in der Produktion nicht möglich. Die Belieferung der Unternehmen funktioniert offenbar. Angesichts von Menschenschlangen vor Supermärkten versicherte Confcommercio, die Versorgung mit Lebensmitteln sei sichergestellt.Conte sprach von der “dunkelsten Stunde” des Landes. “Aber wir schaffen es”, fügte er hinzu. Die Regionalpräsidenten süditalienischer Regionen forderten Norditaliener angesichts einer Fluchtwelle auf, umzukehren und nicht das Coronavirus einzuschleppen. An Flughäfen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen patrouillierte Militär und kontrollierte Reisende. Unterdessen kritisierten mehrere norditalienische Regionalpräsidenten, die Maßnahmen seien zu spät gekommen und gingen nicht weit genug. Experten warnen vor einer Ausbreitung der Epidemie in den Süden, dessen Gesundheitswesen davon völlig überfordert wäre.