Fortschritte und ein Fragezeichen

EU und Eurogruppe haben ihre Krisen-Soforthilfen auf den Weg gebracht - Wiederaufbau bleibt unklar

Fortschritte und ein Fragezeichen

Aus dem 540-Mrd.-Euro-Hilfspaket für besonders von der Coronakrise betroffenen Staaten, Unternehmen und Arbeitnehmer sind jetzt erste Gelder vom ESM abrufbar. Auch die anderen Programme dieses Pakets kommen voran. Völlig unklar bleibt aber weiter, wie der Wiederaufbau nach der Krise aussehen soll.Von Andreas Heitker, BrüsselAm Freitagnachmittag war es so weit: Nachdem auch der Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) noch einmal die vorsorglichen Corona-Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms frei gegeben hatte, konnten erste Mittel aus dem mehr als 500 Mrd. Euro großem Corona-Soforthilfepaket abgerufen werden. Der ESM stellt allen Euro-Staaten jetzt nahezu zinslose Kredite von bis zu 2 % ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) von 20219 zur Verfügung. Basis hierfür ist eine vorbeugende Kreditlinie mit dem Namen Enhanced Conditions Credit Line (ECCL), die bislang noch nie genutzt wurde. Besonders von der Pandemie betroffene Länder wie Italien oder Spanien könnten jetzt 39 Mrd. beziehungsweise 28 Mrd. Euro vom ESM erhalten.Mario Centeno, Chef der Eurogruppe und Vorsitzender des ESM-Gouverneursrates, zeigte sich hochzufrieden. Durch die Einrichtung dieses innovativen Instruments in Rekordzeit hätten die Finanzminister gezeigt, dass der ESM “ein echter Notfall-Backstop mit einem flexiblen Instrumentenkasten” sei, mit dem die aktuellen Anforderungen erfüllt werden könnten, sagte Centeno. Erste Interessenten aus dem Euroraum an dem bis zu 240 Mrd. Euro großem Topf lassen bislang allerdings noch auf sich warten.Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach am Freitag vor einer weiteren Videokonferenz der Eurogruppe von einem “guten Tag für Europa” und praktizierter Solidarität. Der SPD-Politiker meinte damit aber nicht nur das ESM-Programm, sondern auch die Verständigung unter den Mitgliedstaaten auf die SURE-Initiative, über die die EU-Kommission bis zu 100 Mrd. Euro für die Unterstützung nationaler Kurzarbeitergeld-Programme bereitstellen will. Am Dienstag folgt die förmliche Annahme der Verordnung durch den Rat in einem schriftlichen Verfahren. Bis zur Abrufung erster Gelder könnte es allerdings noch dauern, da noch nicht die notwendigen Garantien über 25 Mrd. Euro vorliegen, die für die Kreditaufnahme durch die EU-Kommission nötig sind.Bis zu dem von den Staats- und Regierungschefs der EU gesetzten Stichtag am 1. Juni könnte es daher eng mit SURE werden. Eher dürfte bis dahin der dritte Teil des Soforthilfe-Pakets fertig sein: das geplante Garantieprogramm der Europäischen Investitionsbank (EIB). Zuletzt mussten die eigentlich unstrittigen EIB-Hilfen doch noch einmal zurück auf die politische Ebene, weil unter anderem unklar war, ob tatsächlich nur kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) profitieren sollen oder auch Großkonzerne. Die Bundesregierung hatte sich zuletzt klar für eine Beschränkung auf KMU eingesetzt – ansonsten könnte der neue 200-Mrd.-Euro-Topf nämlich rasch leer sein, so die Befürchtung.Bei der Frage nach Europas finanzieller Antwort auf die Coronakrise gibt es damit nun nur noch einen offenen Punkt: Welche Mittel kann die EU in den nächsten Jahren für den Wiederaufbau bereitstellen und wie wird dieses Konjunkturprogramm genau ausgestaltet? Wann der entsprechende Vorschlag hierzu von der EU-Kommission auf den Tisch gelegt wird – einschließlich eines neuen mittelfristigen Budgets -, ist weiter unklar. In Brüssel gehen EU-Diplomaten aber mittlerweile davon aus, dass dies auch in der neuen Woche noch nichts wird, sondern eher Ende Mai.Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte im EU-Parlament schon Grundzüge der Wiederaufbauinitiative genannt – das Volumen aber offengelassen. Die Erwartungen ranken von mindestens 1 Bill. bis zu 2 Bill. Euro. Unter den Mitgliedstaaten ist derweil schon ein weiterer Streit darüber ausgebrochen, wer von der Recovery-Initiative überhaupt profitieren sollt. Ein Schreiben von fünf südlichen Ländern plädiert für eine quasi ausschließliche Förderung des besonders getroffenen Südens. Dies wurde in Osteuropa bereits deutlich zurückgewiesen. Und die Nettozahler aus dem Norden waren darüber auch nicht sonderlich amüsiert.