WELTHANDEL

Fragiles Gleichgewicht

Pünktlich zum Termin des G20-Gipfels vom kommenden Wochenende im japanischen Osaka konstatiert die Welthandelsorganisation WTO in ihrem halbjährlichen Aufsichtsbericht zum wiederholten Mal: Der globale Freihandel ist arg bedroht. Bei Schutzzöllen...

Fragiles Gleichgewicht

Pünktlich zum Termin des G20-Gipfels vom kommenden Wochenende im japanischen Osaka konstatiert die Welthandelsorganisation WTO in ihrem halbjährlichen Aufsichtsbericht zum wiederholten Mal: Der globale Freihandel ist arg bedroht. Bei Schutzzöllen und anderen Importrestriktionen sei eine “dramatische Spitze” erreicht worden, heißt es in dem Report. Dessen Zweck ist offiziell allein die Wahrung der Transparenz im dichten Gestrüpp des Welthandels. Inoffiziell will der Bericht aber vor allem den Kontrahenten im sinoamerikanischen Handelskonflikt ins Gewissen reden. Immerhin wollen sich Xi Jinping und Donald Trump am Wochenende über das weitere Vorgehen in dem epischen Streit beraten. Handfeste Ergebnisse sind von dem Treffen zwar nicht zu erwarten, aber immerhin könnte es das Feld für konstruktive Verhandlungen in den nächsten Monaten aufmachen.Die WTO schaut dem Treiben zu wie ein Zaungast. Die Institution legt allgemeingültige Spielregeln fest, wie das Prinzip der Nichtdiskriminierung, und fühlt sich derzeit wie im falschen Film. Der Gegenentwurf, ein Handelssystem, in dem das Recht des Stärkeren gilt, liegt Donald Trump und seinem Amerika offensichtlich näher. Vor Jahresfrist, als der Konflikt zwischen China und den USA offen ausgebrochen ist, durfte die WTO noch glauben, die einvernehmliche Lösung sei durch einen Handschlag zu haben, der beiden Seiten die Gesichtswahrung erlaubt. So kommt es oft heraus, wenn sich ebenbürtige Schwergewichte zum Kampf entscheiden. Schließlich wissen die Streithähne, dass sie sich ohne vorzeitigen Rückzug beide ernsthaften Schaden zufügen würden.Bedrohlich ist die Situation aber allemal, und sie wird durch den Umstand verschärft, dass auf der Weltkarte des Handels in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr solche Schwergewichte in der Form regionaler Freihandelsabkommen und Integrationsräume entstanden sind. Viele Handelsdiplomaten priesen diese Entwicklung als erfolgversprechenden Weg, den komplizierten und seit langer Zeit stockenden Prozess zu umgehen, indem die WTO-Mitglieder auf globaler Ebene den Konsens suchen. Ökonomen und Völkerrechtler warnten indessen schon frühzeitig, dass die immer zahlreicheren und mächtigeren Handelsblöcke das Nichtdiskriminierungsprinzip der WTO zunehmend unterlaufen würden. Der aktuelle Handelsstreit zeigt nun mit aller Deutlichkeit die Größe des Schadenpotenzials, wenn das fragile Gleichgewicht der Macht kippen sollte.