Französisches Paradox nun auch in der Wirtschaft

Schnellere Erholung als zunächst befürchtet - Regierung und Notenbank erhöhen Prognosen - Infektionszahlen bereiten Sorgen

Französisches Paradox nun auch in der Wirtschaft

Von Gesche Wüpper, ParisEin französisches Paradox ist im Bereich Wein und Lebensart zu einem festen Begriff geworden. Ein französisches Paradox gibt es derzeit jedoch auch bei der wirtschaftlichen Situation des Landes. Auf der einen Seite kann Frankreich aufatmen, denn die wirtschaftliche Aktivität hat sich nach Aufhebung der strengen Ausgangssperre wieder schneller erholt als erwartet. Auf der anderen Seite jedoch erreichen die Infektionszahlen seit Ende der traditionellen Sommerferien neue Rekordstände, so dass zu befürchten steht, dass die Covid-19-Pandemie den Aufschwung der zweitwichtigsten Volkswirtschaft der Eurozone wieder abbremsen könnte.Das alles spiegelt sich auch in der neuen Wachstumsprognose wider, die Wirtschaftsminister Bruno Le Maire gerade in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung “Les Echos” verkündet hat. Statt eines Einbruchs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 11 % in diesem Jahr erwartet er nun einen Rückgang um 10 %. Das ist zwar optimistischer als die bisherige Annahme. Doch Le Maire zeigt sich damit vorsichtiger als die Banque de France und das Statistikamt Insee. So hat die französische Zentralbank gerade ihre Konjunkturprognosen angehoben. Sie geht nun davon aus, dass Frankreichs Wirtschaft um 8,7 % schrumpfen und 2021 dann um 7,4 % wachsen wird. Die Insee-Statistiker rechnen mit einem Rückgang um 9 % in diesem Jahr.Der Anstieg der Corona-Neuinfektionen dürfte der Hauptgrund für Le Maires Vorsicht sein. Denn es steht zu befürchten, dass weitere Beschränkungen nötig sein werden, um die Entwicklung zu stoppen. Mit zuletzt fast 10 000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden ist Frankreich zusammen mit Spanien und Großbritannien derzeit das Land in Europa, in dem sich die Pandemie am schnellsten ausbreitet. Der Wissenschaftsrat, der Präsident Emmanuel Macron berät, hatte deshalb bereits letzte Woche gewarnt, dass die Regierung nicht umhinkommen dürfte, schwierige Entscheidungen treffen zu müssen. Diese hat Macrons neuer Regierungschef Jean Castex jedoch an die Präfekte besonders betroffener Regionen abgegeben.Denn die Regierung will alles tun, um eine strenge Ausgangssperre wie im Frühjahr zu vermeiden. Das nämlich wäre für Deutschlands wichtigsten Partner eine wirtschaftliche Katastrophe, wie ein Blick auf die ersten beiden Quartale zeigt. Da Frankreich eine der strengsten Ausgangssperren in Europa verhängte, brachen die wirtschaftlichen Aktivitäten in diesem Zeitraum kumuliert um 19 % ein, in Deutschland dagegen “nur” um 12 % und in Italien um 17 %. Fragt sich nur, ob die nun bereits für einige Städte wie Bordeaux und Marseille getroffenen Maßnahmen ausreichen, um das Infektionsgeschehen zu stoppen. Dazu gehört etwa eine Begrenzung der Teilnehmerzahlen bei Großveranstaltungen und privaten Treffen. In den meisten Großstädten herrscht zudem inzwischen Maskenpflicht.Bisher ist es in den Krankenhäusern der besonders betroffenen Regionen nicht zu Kapazitätsengpässen gekommen, da sich jetzt viele jüngere Menschen infizieren, die keine oder kaum Symptome entwickeln. Trotzdem werden immer mehr Patienten in die Krankenhäuser eingeliefert, und es landen auch immer mehr auf der Intensivstation. All das sorgt für Unsicherheit, genau wie die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Dank massiver Kurzarbeitsprogramme ist es Frankreich bisher gelungen, die Arbeitslosenquote bei zuletzt 7 % zu halten, die Übersee-Départements nicht mitgerechnet. Doch Insee hat bereits gewarnt, dass sie Ende des Jahres auf 9,5 % steigen könnte. Die Banque de France erwartet, dass die Beschäftigung im ersten Quartal 2021 einen Tiefpunkt erreichen wird, da Kurzarbeitsprogramme auslaufen und mit Firmenpleiten weitere Jobs verloren zu gehen drohen.All das belastet die Stimmung der Unternehmen und das Vertrauen der Verbraucher. Es ist zwar seit seinem Tiefststand im Mai wieder gestiegen, liegt aber mit zuletzt 94 Punkten noch immer deutlich unter dem langjährigen Mittel von 100 Punkten. Diese Skepsis dürfte das Konsum- und Sparverhalten auch in den nächsten Monaten beeinflussen. Nachdem die Erholung bisher besser lief als gedacht, besteht nun für den Rest des Jahres wieder ein deutliches Abwärtsrisiko.