LEITARTIKEL

Frischer Wind tut not

Dass das Ergebnis des Urnengangs am Sonntag mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit feststeht wie lange nicht mehr bei einer Bundestagswahl, hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite: Außenpolitisch bleibt Deutschland mit Angela Merkel...

Frischer Wind tut not

Dass das Ergebnis des Urnengangs am Sonntag mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit feststeht wie lange nicht mehr bei einer Bundestagswahl, hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite: Außenpolitisch bleibt Deutschland mit Angela Merkel als Kanzlerin in einer Welt wachsender Spannungen und unberechenbarer Regierungschefs und Präsidenten der ruhende Pol. Das Wort der Kanzlerin zählt international und verleiht Deutschland Gewicht. Ohne Deutschlands ordnende und gebende Hand wäre die EU längst gesprengt und die Eurozone Geschichte, mit erheblichen Risiken für den Frieden vor unserer Haustür. Die schlechte Seite: Innenpolitisch drohen mit Angela Merkel als Kanzlerin selbstzufriedene Stagnation und Fortsetzung einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dieses Deutschland, “in dem wir gut und gerne leben”, wie Merkel auf den CDU-Wahlplakaten verkündet, läuft Gefahr, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und vor lauter gutem Leben seine Zukunft zu verschlafen. Ob und wie sehr dieses Szenario Realität wird, hängt davon ab, wer künftig mit Merkel am Kabinettstisch sitzt.Die Fortsetzung der schwarz-roten Koalition wäre die rechnerisch einfachste, aber schlechteste aller mit der CDU machbaren Kombinationen – für das Land, für die CDU und am meisten für die SPD. Die deutsche Sozialdemokratie hat als Koalitionspartner einer christlich-sozialdemokratischen Union ihr Profil eingebüßt. In Teilen finden sich ihr Programm und ihre Wähler heute in der Linkspartei wieder. Die SPD braucht inhaltlich und personell dringend eine Erneuerung. Das geht nur in der Opposition. Ihr Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Martin Schulz steht für eine SPD, die den Herausforderungen von heute wie Globalisierung, Demografie und Digitalisierung mit Rezepten von gestern beikommen will, wie staatlicher Regulierung, Umverteilung und Schuldenfinanzierung.Für eine schwarz-grüne Koalition dürften die Stimmen nicht reichen, selbst wenn es den Grünen gelänge, ihr Ziel der drittstärksten Kraft zu erreichen. Eine solche Kombination würde zwar – nicht zuletzt wegen der bisher guten Erfahrungen beispielsweise in Hessen und Baden-Württemberg – in beiden Parteien viele Anhänger finden und wohl auch zügig zu einem gemeinsamen Regierungsprogramm führen. Dass Deutschland unter Schwarz-Grün zukunftsfähig gestaltet wird und international konkurrenzfähig bleibt, ist aber angesichts der starken strukturkonservativen und marktfeindlichen Kräfte in beiden Parteien zu bezweifeln.Für Deutschlands Zukunft wäre eine schwarz-gelbe Koalition – und wenn’s nicht reicht, dann eine Jamaika-Koalition unter Beteiligung der Grünen – die beste Lösung. Die FDP hat sich in den Jahren ihrer außerparlamentarischen Opposition inhaltlich erneuert und ihr einseitiges Profil als Steuersenkungspartei abgestreift. Natürlich setzt sich die FDP auch weiterhin für Steuerentlastungen ein und hat angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen dafür auch gute Argumente. Denn die schwarze Null im Bundeshaushalt steht ja nicht, weil gespart wurde, sondern die Steuereinnahmen noch stärker wuchsen als die budgetierten Ausgabensteigerungen. Doch mit den Themen Bildung, Digitalisierung, flexibles Renteneintrittsalter, Einwanderungsgesetz und Datenschutz setzt die FDP die richtigen Schwerpunkte, die CDU/CSU und SPD in der zu Ende gehenden Legislaturperiode überhaupt nicht oder nur halbherzig angepackt haben.Die Frage wird allerdings sein, auf welchen Gebieten sich die FDP mit ihren Vorstellungen in einer Koalition mit CDU/CSU durchsetzen könnte, sofern sie denn wieder in den Bundestag zurückkehrt und von der Union als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wird. Der Anspruch der FDP auf das Finanzministerium liegt nahe, ist es doch das entscheidende Machtzentrum nach dem Kanzleramt und gerade für die politischen Ziele der Liberalen das Schlüsselministerium. Dort fühlt sich zwar der gerade 75 Jahre alt gewordene Wolfgang Schäuble als Hüter der deutschen Staatsfinanzen seit Jahren wie zu Hause und zeigt keine Anzeichen von Amtsmüdigkeit. Es liegt in der Natur von Politikern, sich für unersetzlich zu halten, wie dies gerade wieder die Ministerpräsidenten Horst Seehofer in Bayern und Volker Bouffier in Hessen beweisen, trotz geeigneter jüngerer Kandidaten aus den eigenen Reihen. Doch Politik lebt – wie auch die Gesellschaft und die Märkte – von Veränderung. Dass außenpolitisch im aktuellen Umfeld Kontinuität, Erfahrung und Stabilität viel wert sind, steht außer Frage. Umso mehr sollte der Wähler die Chance nutzen, für frischen Wind in der innenpolitischen Agenda zu sorgen.——–Von Claus DöringDas Land braucht Veränderung, um für die Zukunft fit zu werden. Deshalb kommt es darauf an, wer künftig mit am Kabinettstisch von Kanzlerin Merkel sitzt.——-