Ifo-Geschäftsklima

Gaskrise zieht Stimmung runter

Der Absturz des Ifo-Geschäftsklimas zeigt: Die drohende Gasnotlage und hohe Energiekosten haben den deutschen Unternehmen die Stimmung vermiest. Und Gazprom kündigt an, dass künftig noch weniger Gas kommt.

Gaskrise zieht Stimmung runter

ba Frankfurt

Zu Beginn des dritten Quartals stehen die Zeichen für die deutsche Wirtschaft auf Sturm: Neben Rohstoff- und Materialmangel sowie rasant steigenden Energiepreisen hat Furcht um die Versorgungssicherheit mit russischem Erdgas für einen herben Stimmungsdämpfer gesorgt. Das Ifo-Geschäftsklima ist im Juli um 3,6 auf 88,6 Punkte gefallen, was Rezessionssorgen nährt. Volkswirte geben das laufende Quartal bereits verloren, nachdem auch die anderen Konjunkturumfragen von Sentix, ZEW und unter Einkaufsmanagern eine Talfahrt signalisiert haben. Und nun hat der russische Staatskonzern Gazprom angekündigt, noch weniger Gas zu liefern.

Ökonomen hatten zwar den zweiten Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas in Folge erwartet, aber nicht mit dem niedrigsten Wert seit Juni 2020 gerechnet, sondern mit einem Stand von 90,2 Zählern. „Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession“, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter rund 9000 Unternehmen. Die Unsicherheit sei „deutlich gestiegen“, erklärte Ifo-Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview. Drei Viertel der befragten Firmen gäben an, sie hätten Schwierigkeiten, die Entwicklung der Ge­schäftslage ihres Unternehmens in den nächsten sechs Monaten vorherzusagen. Höher lag das Maß zuletzt zur Hochzeit der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Aber auch die Lücke zwischen der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und der Erwartungen klaffe „so stark auseinander wie selten“.

Im Juli ist insbesondere die Erwartungskomponente kräftig gefallen: um 5,2 auf 80,3 Punkte (siehe Grafik). In dieser Region notierte das Barometer zuletzt während der globalen Finanzkrise – damals lag der Tiefstpunkt bei 79,2 Zählern. Die aktuelle Lage wird ebenfalls schwächer eingeschätzt. Der entsprechende Index hat um 1,7 auf 97,7 Punkte nachgegeben.

Alle Branchen betroffen

Insbesondere die Sorge vor einem Gasmangel gilt Ökonomen als maßgeblicher Faktor der Entwicklung im Juli. So sei die Ifo-Umfrage zum größten Teil abgeschlossen gewesen, bevor Russland die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 nach den regulären Wartungsarbeiten wieder aufgenommen habe, erklärte Wohlrabe. Die Unsicherheit bleibe aber unabhängig davon bestehen. Von den Gaslieferungen aus Russland hängt Wohlrabe zufolge ab, ob Deutschland im Herbst in eine Rezession rutschen wird. „Die Rezession klopft an die Tür“, sagte er. „Aber wenn Russland weiter Gas liefert, wird es keine Rezession geben.“

Derzeit  fließen  durch Nord Stream­ 1 nur 40% der maximal möglichen Gasmengen. Solange es dabei bleibe, sei hierzulande im besten Fall ein Gasspeicher-Füllstand von 80 bis 85% vor dem Winter zu erreichen, warnt Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur. Das Ziel von 90 oder 95% zum 1. November sei unrealistisch. Gazprom teilte am Montag zudem mit, ab Mittwoch wegen der Wartung einer weiteren Turbine die Gaslieferung auf rund 20% weiter einzuschränken.

Aber auch ohne kompletten russischen Gaslieferstopp gebe es „genügend andere Belastungsfaktoren“, wegen derer das Risiko, dass Deutschland bereits im dritten oder vierten Quartal in die Rezession fällt, nicht von der Hand zu weisen sei, be­tonte Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann. Dazu zählt er die restriktiver gewordene Geldpolitik, anhaltend hohe Strom- und Gaspreise und die rückläufige Weltwirtschaft. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer verweist auf eine DIHK-Umfrage, wonach 16% der befragten Industrieunternehmen an­gaben, wegen der gestiegenen Energiepreise die Produktion zurückzufahren oder Geschäfte teilweise aufzugeben.

Die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe ist im Juli denn auch stark gefallen. Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate ist laut den Münchener Wirtschaftsforschern so weit verbreitet wie seit April 2020 nicht. „Das zieht sich nahezu durch alle Industriebranchen“, und die Neuaufträge waren erstmals seit zwei Jahren leicht rückläufig. Weiteres Ungemach droht von der aktuellen Hitzewelle: Die derzeitige Trockenheit „hat die Wasserstände in den wichtigsten Flüssen fast auf das Niveau von 2018 gesenkt, als niedrige Wasserstände zu einer Unterbrechung der Lieferketten führten“, erinnert Carsten Brzeski, ING-Chefökonom. Dabei sind die ohnehin angespannten Lieferketten von dem zweitägigen Hafenarbeiterstreik von Anfang Juli hierzulande noch stärker strapaziert worden.

Wohlrabe sagte, die Angst der Verbraucher vor hohen Energierechnungen im Winter habe auch den Tourismus und das Gastgewerbe belastet, die auf einen guten Sommer gehofft hätten: „Da ist die gute Stimmung verflogen“, erklärte er den erheblichen Rückgang des Geschäftsklimas im Dienstleistungssektor. Der Lageindikator habe zwar nachgelassen, liege aber weiter auf hohem Niveau.

Einen erneut deutlichen Rückgang verzeichnet das Ifo für das Geschäftsklima im Handel: „Es gibt gegenwärtig keine Einzelhandelssparte, die optimistisch in die Zukunft schaut.“ Dass die Verbraucher „nach Ende der Sommersaison ihren Gürtel enger schnallen“ werden, ist für Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, „keine gute Voraussetzung für den Konjunkturverlauf“. Und auch im Bauhauptgewerbe hat sich die Stimmung nach der kurzen Erholung im Juni merklich verschlechtert. Das Lagebarometer ist auf den niedrigsten Stand seit April 2016 gefallen.