IM GESPRÄCH: RAGHURAM RAJAN

Geostrategische Rivalen eng vernetzt

Indiens ehemaliger Notenbankchef zum drohenden Handelskrieg USA/China

Geostrategische Rivalen eng vernetzt

Von Ernst Herb, HongkongDas große Ungleichgewicht im Handel zwischen den USA und China hat jüngst an den globalen Finanzmärkten für erhebliche Unruhe gesorgt. Doch muss der Handelszwist nach Meinung von Raghuram Rajan, dem ehemaligen Gouverneur der indischen Notenbank und früheren Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, trotz der mittlerweile von beiden Seiten angekündigten Sanktionen nicht unweigerlich zu einem Handelskrieg eskalieren.Rajan sieht in den von Washington auf chinesische Einfuhren gelegten Strafzöllen trotz des rauer gewordenen Tones denn auch in erster Linie die Erfüllung von Wahlversprechen, wie er am Rande einer von der Credit Suisse in Hongkong veranstalteten Investorenkonferenz im Gespräch mit der Börsen-Zeitung ausführte. Hohe Kosten drohenKurzfristig geht es dabei vor allem darum, das von den USA im Handel mit China erzielte Defizit etwas zu reduzieren und damit auch den laufenden Strukturanpassungsprozess zu verlangsamen. Doch dieses politische Ziel könnte gerade auch die USA teuer zu stehen kommen. “Amerikanische Ökonomen wie auch Unternehmer verstehen sehr gut, dass die Kosten für die mögliche Erhaltung von Arbeitsplätzen sehr hoch sind”, sagt Rajan. Gerade deshalb seien die von Washington bisher auferlegten Strafzölle in den USA selbst auf erheblichen Widerstand gestoßen. Rajan, der seit 1995 Professor an der Chicago Booth School of Business ist, kennt sich in den US-Wirtschaftskreisen bestens aus. Vorderhand ziele Washington wohl darauf ab, Peking an den Verhandlungstisch zu zwingen, meint er. Doch sollte das keine Resultate bringen und sollten die angekündigten Sanktionen zu einer Spirale von immer stärkeren beidseitigen Gegenmaßnahmen führen, so könnte das durchaus das Wachstum der sich nach wie vor in einem Erholungsstadium befindlichen Weltwirtschaft zum Entgleisen bringen. Dieses Risiko ist seiner Ansicht nach nicht ganz auszuschließen, sind China und die USA doch nicht nur wirtschaftlich eng miteinander vernetzt, sondern auch zunehmend größere geostrategische Rivalen geworden. “Für eine gütliche Lösung ist damit von zentraler Bedeutung, dass die zwei Themen auseinandergehalten werden”, betont Rajan.Es sei dabei nicht nur auf die Person des impulsiven amerikanischen Präsidenten Donald Trump zurückzuführen, dass die Spannungen jüngst deutlich gestiegen sind. Sondern Peking will auch im Rahmen eines ambitiösen Entwicklungsprogramms bis 2025 zu einer weltweit führenden Industrienation werden, um dann bis 2050 den Status einer globalen Supermacht zu erhalten. Rajan hält die ambitiösen Ziele Pekings gerade auch mit Blick auf das chinesische Wirtschaftswunder der vergangenen vier Jahrzehnte für nicht ganz unrealistisch. “Ein Land von der Größe Chinas hat in dem bisher erreichten enorm großes Geschick gezeigt.” Allerdings stehe der mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abgesehen von einem drohenden Handelskrieg die größte Herausforderung noch bevor. Umbau der WirtschaftWie auch von der Regierung gesagt, ist das bisherige, auf Exporten und staatlichen Investitionen basierende Entwicklungsmodell überholt. Die Bevölkerung habe dafür in Form einer enormen Umweltverschmutzung und der extrem tiefen Kapitalrendite einen sehr hohen Preis bezahlt. Zukünftig soll das Wachstum indes in erster Linie durch die Entwicklung innovativer Konsumgüter und hochstehender Dienstleistungen angetrieben werden.Für Rajan hängt es von zwei Faktoren ab, ob China diesen Transformationsprozess meistern kann. “Peking weiß ebenso wie Japan oder Europa bisher nicht, wie es mit dem Problem einer rasant alternden Gesellschaft umgehen soll. Doch hat in China der demografische Wandel anders als in den hoch industrialisierten Volkswirtschaften eingesetzt, noch bevor die Gesellschaft einen hohen Entwicklungsstand erreicht hat”, sagt der 55-Jährige. Damit riskiere das Reich der Mitte, alt zu werden, ehe es reich geworden ist.Eine noch weit größere Herausforderung für die chinesische Führung sei die Frage, ob das Land eine innovative Gesellschaft werden kann, ohne gleichzeitig auch die Wirtschaft zu dezentralisieren und weiter nach außen zu öffnen. Lange haben die Provinzen gerade in wirtschaftlichen Bereichen über eine relativ große Autonomie verfügt, was einen gesunden Wettbewerb mit sich brachte. Doch will Peking die laufende Phase des Modernisierungsprozesses zentral steuern. Rajan zufolge hat es bisher aber noch kein Land an die Spitze der Innovation von Konsumgütern geschafft, ohne dass gleichzeitig das weitere Umfeld liberalisiert worden wäre.