"German Angst" im Schatzamt

Die britische Teuerungsrate sinkt, doch die Furcht vor Inflation wird geschürt

"German Angst" im Schatzamt

Von Andreas Hippin, LondonDie Coronavirus-Pandemie hat in Großbritannien die Teuerungsrate stärker nach unten gedrückt, als Volkswirte erwartet hatten. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, ging sie im April von 1,5 % auf 0,8 % zurück. Das war der niedrigste Stand seit August 2016. Am Markt hatte man – unter anderem wegen sinkender Kraftstoffpreise – im Schnitt mit einem Wert von 0,9 % gerechnet. Allerdings sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, denn rund ein Fünftel der Produkte und Dienstleistungen im Warenkorb der Statistiker waren unter den Bedingungen des Lockdowns “nicht erhältlich”, Flugtickets etwa. Die Panikkäufe in den Supermärkten wirkten sich kaum auf den Preisauftrieb bei Lebensmitteln aus, der von 1,1 % auf 1,3 % zunahm.Dennoch reißen die Warnungen vor einer herannahenden Geldentwertung nicht ab. Schließlich sind die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie kostspielig. Sie zahlt die Löhne von 10 Millionen Menschen, denen sonst der Verlust des Arbeitsplatzes drohen würde, was mit um die 15 Mrd. Pfund pro Monat zu Buche schlägt. Die Wirtschaft befindet sich derweil auf Talfahrt, auch wenn die Ergebnisse der jüngsten Blitzumfrage unter Einkaufsmanagern besser waren als erwartet. Die “German Angst”, in diesem Fall eine Zögerlichkeit aus Furcht vor Hyperinflation, ergriff offenbar auch eine besonders dunkle Ecke des Schatzamts. Von dort wurde vergangene Woche ein Papier an den “Telegraph” durchgestochen, in dem Steuererhöhungen und Einsparungen gefordert wurden, um die Staatsverschuldung wieder einzufangen. Im Grundszenario gingen die verbeamteten Verfasser von einem Haushaltsdefizit von 337 Mrd. Pfund aus. Bei einem “L-förmigen” Konjunkturverlauf, dem Schreckgespenst der Ökonomen, könne es sich gar auf 516 Mrd. Pfund belaufen. Mächtige GegnerDie von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen würden die Anstrengungen von Schatzkanzler Rishi Sunak, die Wirtschaft vor dem Absturz zu bewahren, konterkarieren. Sie würden Produktionskapazität zerstören, das künftige Wachstum und die zu erwartenden Steuereinnahmen niedriger ausfallen lassen – alles in allem keine guten Voraussetzungen für eine Gesundung der öffentlichen Finanzen. Sunak hat es, wie viele seiner Kollegen im Kabinett von Boris Johnson, mit mächtigen Gegnern in der Ministerialbürokratie zu tun. Sonst wäre das Papier nicht dem Haus- und Magenblatt der britischen Tories verabreicht worden. Allerdings dürften sie mit einer freundlicheren Aufnahme ihrer Thesen gerechnet haben.Geht es nach Olivier Blanchard, dem ehemaligen Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, müssen keine Steuern erhöht werden, wenn der Staat bestehende Schulden durch die Ausgabe neuer Anleihen refinanzieren kann und deren Zinsen unter dem Wirtschaftswachstum liegen. Denn solange das Wachstum den Zinssatz übertrifft, sinkt das Verhältnis von Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt mit der Zeit. Noch ist die Nachfrage nach britischen Staatsanleihen (Gilts) ungebrochen. Am Mittwoch platzierte die britische Schuldenagentur DMO erstmals Treasury Gilts mit negativen Zinsen. Anleger waren so an der 3,75 Mrd. Pfund schweren Emission dreijähriger Schuldentitel interessiert, dass sie im Schnitt zu – 0,003 % untergebracht werden konnten. Wenn bald auch die Wirtschaft wieder wächst, besteht also kein Grund zur Sorge mehr.