LEITARTIKEL

Gespensterjagd in China

Chinas Wirtschaft in Schwung zu halten, ohne dass Konsum- und Vermögenspreise davongaloppieren, das war jahrelang die größte und schwierigste Herausforderung für Chinas Wirtschaftslenker und Geldpolitiker. Derzeit aber sieht man sich im Reich der...

Gespensterjagd in China

Chinas Wirtschaft in Schwung zu halten, ohne dass Konsum- und Vermögenspreise davongaloppieren, das war jahrelang die größte und schwierigste Herausforderung für Chinas Wirtschaftslenker und Geldpolitiker. Derzeit aber sieht man sich im Reich der Mitte mit einer ungewohnten Konstellation eines blutleer wirkenden Industriesektors, anämischer Verbraucherpreise und eines schwachen Immobilienmarktes gegenüber, für die es keine einfachen geldpolitischen Rezepte gibt. Die Zentralbank hat es mit einer möglicherweise verfrühten Leitzinssenkung im November versucht, die sich mit voller Wucht in einer Megabörsenhausse entlud, aber keinerlei sichtbare Belebungswirkung an realwirtschaftlicher Front zeigte.Die People’s Bank of China zögert denn auch mit einer weiteren Zurücknahme der Leitzinsen, obwohl die jüngsten Preisdaten aus dem Reich der Mitte auf den ersten Blick genügend Spielraum, wenn nicht sogar imminenten Handlungsbedarf anzeigen. Im Januar sind Chinas Konsumpreise noch um 0,8 % gegenüber Vorjahr vorangekommen, die niedrigste Steigerungsrate seit über fünf Jahren, als Chinas Wirtschaft gerade im Begriff war, mit einem riesigen Konjunkturstimulierungspaket den Folgen der globalen Finanzkrise zu entrinnen. Die Folge war jedoch eine monumentale Kredit- und Verschuldungsblase, die sich zwar nicht am Aktienmarkt, wohl aber in schwindelerregenden Häusermarktpreisen und einer für niedrige Einkommensbezieher furchterregenden Lebensmittelpreisinflation entlud.Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sprechen gegen eine ruckartige Reinflationierung der Wirtschaft, andererseits aber bringt die Verschuldungssituation im Unternehmenssektor und auf Ebene der Lokalregierungen als Hinterlassenschaft des künstlich entfachten Booms eine knisternde Bonitätssituation mit sich. Der wäre mit einer Inflationierung, sprich Reduzierung der realen Schuldenbelastung, ein Stück weit beizukommen. Brisant wirkt auch die Entwicklung bei den Erzeugerpreisen, die bereits seit über drei Jahren kontinuierlich nach unten zeigen. Während man zur Jahresmitte 2014 noch einen gemäßigten Trend mit Rückgängen im monatlichen Produzentenpreisindex von 1 % sah, sind die Erzeugerpreise im Dezember um 3,3 % und im Januar gar um 4,3 % gegenüber dem Vorjahresmonat gefallen. Nun geht auch in China die Angst vor dem berüchtigten Deflationsgespenst um.Freilich darf man nicht vergessen, dass Chinas Erzeugerpreistrend von einem hartnäckigen industriellen Überkapazitätsproblem herrührt, das es mit schmerzhaften strukturellen Reform- und Anpassungsprozesses zu überwinden gilt, anstatt mit monetären Impulsen zu übertünchen. Abgesehen davon lässt der ungewöhnlich scharfe Rückgang von Weltmarktpreisen für Erdöl und andere Rohstoffe Chinas Preisdaten alarmierender als sonst wirken. Und es gibt weiteren Anlass die jüngsten Inflationsdaten und einen daran anknüpfenden Handlungsbedarf mit Vorsicht zu interpretieren. Wir befinden uns kurz vor dem chinesischen Neujahrsfest, das wechselnd in den Januar oder Februar fällt und enorme Schwankungen bei der Industrieaktivität, der Konsumnachfrage, der Außenhandelsdynamik und auch den Preisentwicklungen mit sich bringt. Sie können bei den Vorjahresvergleichen in der Konjunkturdatensystematik zur Mutter aller saisonalen Verzerrungen führen.Verzwickter noch wird die Situation durch den weltweiten Auftrieb des Dollars, mit dem die Landeswährung Yuan in einem semifixen Verhältnis steht. Die Zentralbank könnte mit Blick auf die angegriffene Exportwirtschaft und der zuletzt starken Aufwertung des Yuan gegenüber dem Euro und asiatischen Währungen geneigt sein, den Yuan gegenüber dem Dollar schwächer werden zu lassen. Doch fürchtet man eine Beeinträchtigung des Investorenvertrauens, das weiteren Kapitalabflüssen Vorschub leistet und die Bemühungen, den Yuan als internationale Reservewährung zu positionieren, untergräbt. In dieser Konstellation ist der Spielraum für Zinssenkungen wesentlich geringer als die Optik der chinesischen Preisdaten vermuten lässt. Im Zweifelsfall tut die People’s Bank gut daran, sich an die für China bewährte Taktik des Wartens auf den Frühling zu halten, denn erst im März kommen Chinas Konjunkturdaten wieder ins Lot. Bis dahin könnte sich nicht nur die Ölmarktsituation stabilisiert haben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich das Deflationsgespenst im Falle Chinas dann eher als ein Phantom erweist.——–Von Norbert HellmannChinas Zentralbank ringt mit Deflationssignalen als einem ungewohnten Problem. Der Spielraum für eine monetäre Lockerung ist dabei geringer, als es scheint.——-