Großbritannien beendet Sparpolitik

Theresa May will Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bis spätestens Ende März in Anspruch nehmen

Großbritannien beendet Sparpolitik

Der britische Schatzkanzler Philip Hammond hat sich auf dem Parteitag der Konservativen von der Sparpolitik seines Vorgängers George Osborne verabschiedet. Premierministerin Theresa May kündigte an, Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bis spätestens Ende März in Anspruch zu nehmen.Von Andreas Hippin, LondonGroßbritannien wird noch im ersten Quartal 2017 den Austritt aus der Europäischen Union einleiten. Premierministerin Theresa May kündigte auf dem Parteitag der Konservativen in Birmingham an, Artikel 50 des Vertrags von Lissabon noch vor Ende März in Anspruch nehmen zu wollen. In einer BBC-Fernsehshow gab sie zu, dass es sich um einen “ziemlich komplexen” Vorgang handelt. Sie hoffe aber, dass nun “vorbereitende Arbeiten” mit den verbleibenden 27 Mitgliedern möglich werden, damit die Verhandlungen “reibungsloser” ablaufen könnten, wenn der Schritt einmal erfolgt sei. In Resteuropa stieß das auf wenig Gegenliebe. Solange Artikel 50 nicht in Anspruch genommen worden sei, würden keine Gespräche geführt, hieß es nicht nur aus Brüssel. Bei einer Volksabstimmung hatte sich am 23. Juni eine klare Mehrheit der britischen Wahlberechtigten für den Brexit ausgesprochen. “Der Himmel ist nicht eingestürzt wie von manchen prophezeit”, sagte May und ging die Europhilen in der Partei hart an. Die Brexit-Skeptiker träten nicht etwa für die Demokratie ein, sondern sie unterminierten sie. Vor der Volksabstimmung hatten sich 185 Abgeordnete der Tories für den Verbleib in der EU ausgesprochen, 128 für den Austritt. Ausbau der InfrastrukturSchatzkanzler Philip Hammond war für die pragmatischen Töne auf der Konferenz zuständig. Er verabschiedete sich vom Ziel seines Vorgängers George Osborne, bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Durch das Votum für den Brexit und die Verlangsamung der Weltwirtschaft hätten sich die Umstände geändert. “Wenn sich die Zeiten ändern, müssen auch wir uns ändern”, sagte Hammond, der vor allem in hochwertige Infrastruktur investieren und den Wohnungsbau voranbringen will. Umstrittene Themen wie den Ausbau des Londoner Flughafens Heathrow und die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2 umschiffte er geschickt. Man solle sich nicht täuschen, die fiskalische Konsolidierung werde weitergeführt.Die in Brüssel äußerst negativ aufgenommene Idee seines Vorgängers, die Körperschaftsteuer auf 15 % zu drücken, erwähnte Hammond nicht. In den nächsten drei Jahren soll sie ohnehin von jetzt 20 % auf 17 % sinken. Als Osborne 2010 sein Amt antrat, hatte sie noch bei 28 % gelegen.”Jetzt wo die Uhr für den EU-Austritt tickt, ist es gut, dass die Regierung die richtigen Kapitelüberschriften gewählt hat, um das Vertrauen in die Wirtschaft zu stärken”, sagte Carolyn Fairbairn, die Chefin des Unternehmensverbands CBI. Jetzt wolle man mehr dazu hören, wie die Regierung zusammen mit der Wirtschaft eine zusammenführende, langfristige Industriepolitik auf den Weg bringen will. “Die größte Herausforderung bleibt, den besten Deal für Großbritannien herauszuholen und die Wirtschaft auf Kurs zu halten.” Simon Lewis, Chef der Finanzmarktlobby AFME (Association for Financial Markets in Europe) begrüßte zwar, dass es nun einen klaren Zeitplan für den Austritt aus der EU gebe. Das mindere die Unsicherheit für Finanzdienstleister. Aber man müsse nun über Übergangsregelungen nachdenken, um negative Auswirkungen zu minimieren. Großes AufhebungsgesetzFür die juristischen Aspekte der Trennung stellte May eine vergleichsweise elegante Lösung vor. Mit einem Großen Aufhebungsgesetz (Great Repeal Bill), das in der nächsten Queen’s Speech enthalten sein soll, will sie dem Vorrang des europäischen Rechts ein Ende bereiten. Es würde das Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften von 1972 aufheben und zugleich das derzeit gültige europäische Recht zu britischem Recht machen. Danach könnte sich die Regierung die Gesetze nach und nach vornehmen und unerwünschte Vorschriften außer Kraft setzen. “Das bedeutet, dass Großbritannien eine unabhängige souveräne Nation sein wird”, sagte May. “Es wird seine eigenen Gesetze machen.” In Wirklichkeit handelt es sich um kaum umstrittenes Verwaltungshandeln, durch das ein rechtliches Vakuum verhindert wird. Das Gesetz soll erst in Kraft treten, wenn Großbritannien die EU verlässt.Politische Beobachter werteten einzelne Aussagen Mays als Hinweise darauf, dass die Führerin der Konservativen einen sogenannten Hard Brexit ansteuert, der nicht nur den Ausstieg aus der Staatengemeinschaft, sondern auch den Verzicht auf ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit sich brächte. Ian Dunt, Editor von Politics.co.uk, hält diesen Satz von May für entscheidend: Man werde dazu in der Lage sein, selber zu entscheiden, wie man die Lebensmittel kennzeichne. Die Nachfolgerin von David Cameron habe sich bislang beim Thema europäischer Binnenmarkt auf das Thema Zuwanderung beschränkt, sagte Dunt. Nun weise sie die gemeinsame Regulierung von Gütern zurück. Damit steuere sie auf einen Hard Brexit zu, ohne es noch extra zu erwähnen.