Großbritannien bekommt die Pandemie erst noch voll zu spüren

Im März schrumpfte die Wirtschaft um 5,8 Prozent - In die Daten ging aber nur eine Woche mit Ausgangsbeschränkungen ein

Großbritannien bekommt die Pandemie erst noch voll zu spüren

hip London – Die britische Wirtschaft ist durch die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie im März so stark geschrumpft wie noch nie seit Beginn der Erhebung. Wie das Statistikamt ONS gestern mitteilte, lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im März um 5,8 % unter dem Niveau des Vormonats. Volkswirte hatten im Schnitt ein Minus von 7,9 % erwartet. Dabei wurden die von der britischen Regierung verhängten Ausgangsbeschränkungen erst am 23. März wirksam. Die Zahlen belegen aus Sicht der Volkswirtin Ruth Gregory von Capital Economics, “dass sich die britische Wirtschaft bereits innerhalb von zwei Wochen nach Wirksamwerden des Lockdowns im freien Fall befand”.Für das Auftaktquartal, von dem die Briten lediglich eine Woche unter dem Lockdown verbrachten, ermittelte das ONS einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 2,0 %. Ökonomen hatten im Schnitt 2,6 % auf der Rechnung. Im Vergleich zu Ländern, in denen schon früher Maßnahmen zur Kontaktbegrenzung ergriffen wurden, kam das Vereinigte Königreich im ersten Quartal glimpflich davon (siehe Grafik). Weil deutlich weniger Daten in die BIP-Erstschätzung eingehen, als dem endgültigen Wert zugrunde liegen, ist noch mit Abweichungen zu rechnen. Die Volkswirte von Barclays hielten deshalb an ihrer Schätzung eines Rückgangs von 2,5 % im ersten Quartal fest. Daten aus dem Einzelhandel sowie die Erkenntnisse aus den Daten des Kreditkartengeschäfts der britischen Großbank deuteten darauf hin, dass die Verbraucherausgaben zu Beginn des Lockdowns stark zurückgegangen seien. Der private Verbrauch habe deutlich nachgelassen, vermutlich stärker, als aus den ONS-Daten hervorgehe. Hoffen auf LockerungDas laufende Quartal dürfte aus Sicht vieler Volkswirte wesentlich schlechter ausfallen als das erste. Sechs Wochen nach Beginn des Dreimonatszeitraums sind die Ausgangsbeschränkungen nur geringfügig gelockert worden. Auf dem europäischen Kontinent wird dagegen mancherorts versucht, die Wirtschaft wieder anzufahren. Die Bank of England hat in ihrem “illustrativen Szenario” einen Wirtschaftseinbruch von 25 % angesetzt. Die Ökonomen des Nationalen Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung (NIESR) haben 25 % bis 30 % auf der Rechnung. Die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility erwarten – 35 %. Eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen könnte ab der zweiten Hälfte des laufenden Monats eine leichte Erholung ermöglichen, wie der Commerzbank-Volkswirt Peter Dixon in einer ersten Einschätzung der Daten ausführte.Schatzkanzler Rishi Sunak nannte es “sehr wahrscheinlich”, dass Großbritannien in diesem Jahr eine “signifikante Rezession” erleben wird. “Wir befinden uns bereits mittendrin”, sagte er der BBC. Sein Ministerium spielt diverse Szenarien durch. Wie der konservative “Telegraph” aus einem internen Dokument des Schatzamts zitiert, wird für den Fall eines L-förmigen Konjunkturverlaufs ohne spürbare Erholung – das Worst-Case-Szenario – für das laufende Jahr von einem Haushaltsdefizit von 516 Mrd. Pfund ausgegangen, das sich binnen fünf Jahren auf 1,19 Bill. Pfund ausweiten könnte. Bislang wurden Sunak zufolge 7,5 Millionen Arbeitnehmer für das “Coronavirus Job Retention Scheme” registriert, bei dem der Staat 80 % der Gehälter und die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber übernimmt. Diese Woche ist es bis Ende Oktober verlängert worden.Unterdessen flirtet die Bank of England mit negativen Zinsen. Vizegouverneur Ben Broadbent hatte diese Woche in einem CNBC-Interview gesagt, eine weitere Lockerung der Geldpolitik sei “durchaus möglich”. Der Leitzins befindet sich mit 0,1 % bereits auf einem historischen Tief. Deshalb wird weithin damit gerechnet, dass die Notenbank ihr wieder angefahrenes Anleihekaufprogramm ausweiten wird.