Revolte von rechts

Großbritanniens Sommer der Unzufriedenheit

Der Amoklauf eines schwarzen Jugendlichen hat zu schweren Unruhen in Nordengland geführt. Die Polizei ist unterbesetzt, schlecht ausgerüstet und völlig überfordert.

Großbritanniens Sommer der Unzufriedenheit

Revolte von rechts: Großbritanniens Sommer der Unzufriedenheit

Brandstiftungen, Straßenkämpfe und Rassismus: Polizei und Strafverfolger verfügen nicht über die nötigen Mittel, um die Unruhen schnell zu beenden

Von Andreas Hippin, London

In Großbritannien haben sich in den vergangenen Tagen widerwärtige Szenen abgespielt. Nachdem ein schwarzer Jugendlicher am 29. Juli im nordenglischen Southport drei kleine Mädchen erstochen und zehn weitere Menschen zum Teil schwer verletzt hatte, kursierten in den sozialen Medien Gerüchte, der Täter sei Muslim. Weil es sich um einen Minderjährigen handelte, wollte die Polizei keine Angaben zu seiner Person machen.

Am Abend des folgenden Tages versammelte sich eine große Menschenmenge vor einer nahegelegenen Moschee und griff das Gebäude an. Dabei wurden zahlreiche Polizeibeamte verletzt, viele davon schwer. Ein Polizeifahrzeug ging in Flammen auf. Seitdem kam es in vielen Städten zu Unruhen.

Holiday Inn Express im Visier

Die Wut des Mobs richtet sich unter anderem gegen Hotels, in denen die britische Regierung Zuwanderer, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal gekommen sind, unterbringt. Gewaltbereite Gruppen versuchten, Hotels der Marke Holiday Inn Express in Tamworth und Rotherham niederzubrennen.

Zahlreiche Rechtsextreme sollen an den Auseinandersetzungen der vergangenen Tage beteiligt gewesen sein. Die in vielen Berichten erwähnte English Defense League existiert als formale Organisation allerdings schon lange nicht mehr. Die Szenen erinnern an Rostock-Lichtenhagen 1992. Die Gewalttäter wirkten nicht organisiert, eher wie Leute, die nach dem zehnten Bier auf die Idee gekommen sind, auf den Putz zu hauen. Ganze Familien waren auf der Straße. In manchen Orten wurden Geschäfte von Zuwanderern verwüstet. In Bolton kam es zu Straßenkämpfen zwischen Rechtsradikalen und vermummten muslimischen Jugendlichen.

Leere Drohungen

Den Randalierern damit zu drohen, dass sie die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, wie es Premierminister Keir Starmer tut, hört sich zwar gut an. Doch dafür müsste man sie erst einmal festnehmen. Aber dazu ist die Polizei nicht in der Lage. Denn anders als in Frankreich und anderen europäischen Ländern setzt man in Großbritannien nicht auf den Unterhalt einer hochgerüsteten Bürgerkriegsarmee.

Policing by Consent“ lautet das Motto. Die deutschen Wasserwerfer, die Boris Johnson als Londoner Bürgermeister nach den Unruhen von 2011 angeschafft hatte, kamen auf Weisung der damaligen Innenministerin Theresa May nie zum Einsatz. Sie wurden 2018 von seinem Nachfolger Sadiq Khan zum Schleuderpreis an einen Schrotthändler verkauft.

Mangelnde Abschreckung

Der gesellschaftliche Konsens ist schon lange abhanden gekommen. Die Polizei erhielt aber nicht die erforderlichen Ressourcen, um einem veränderten Umfeld gerecht werden zu können. Und so wurde bei den tagelangen Auseinandersetzungen auch nur 420 Personen, die sich an den Straßenkämpfen beteiligten, festgenommen. Starmer hofft auf Schnellgerichte.

Das hatte er schon in seinem alten Job als Chefankläger des Crown Prosecution Service getan. Damals gingen Teile Londons in Flammen auf, nachdem Mark Duggan, angeblich ein Drogenhändler und Mitglied der Gang Tottenham Man Dem, von der Polizei erschossen wurde. Schnellgerichte wirken kernig. Doch werden dieses Jahr Tausende von Strafgefangenen von der neuen Regierung vorzeitig freigelassen, weil die Haftanstalten heillos überfüllt sind. Wie groß wird der Abschreckungseffekt wohl sein, wenn im Kittchen kein Zimmer frei ist?