BUNDESTAGSWAHL 2013 - WAHLPROGRAMME UND KANDIDATEN AUF DEM PRÜFSTAND

Große Koalition der Eurorettungspolitiker

Die Regierungspläne der Parteien für die Zeit nach der Bundestagswahl - Eine Analyse der Programme und Absichtsbekundungen

Große Koalition der Eurorettungspolitiker

Unter den etablierten Parteien im Bundestag hat sich stillschweigend eine große Koalition der Euroretter formiert. Doch die Reformpläne zur Stabilisierung der Eurozone in der Zeit nach der Bundestagswahl könnten unterschiedlicher nicht sein.Von Stephan Lorz, FrankfurtZum Ende des Wahlkampfs hin ist der Ton beim Thema Euro(pa)politik deutlich rauer geworden. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) warf der Regierungskoalition vor, dass sie die Finanzlasten aus der Eurorettung bis zum Wahltag “vertuschen und verschleiern” will. Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrerseits tadelte die Haltung der SPD zur Europapolitik als “völlig unzuverlässig”, geißelte zudem die Forderung der Opposition nach Euro-Bonds, und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bezeichnete den SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück als “beleidigte Leberwurst”, als der Merkel damit drohte, den deutschen Europakurs angesichts ihrer Sticheleien nicht mehr mittragen zu wollen. “Hach, du lieber Gott, ich muss schallend lachen”, entgegnete Schäuble daraufhin.Derlei Wahlkampfgetöse täuscht darüber hinweg, dass sich in Sachen Eurorettungspolitik unter den etablierten Parteien im Bundestag bislang stets eine “große Koalition” herausgebildet hat. Wegen der Abweichler innerhalb von CDU/CSU und FDP kam es zuletzt sogar ganz auf die Stimmen der Opposition an, um das überarbeitete zweite Hilfspaket für Griechenland und die Zypernhilfe durchs Parlament zu bringen.Neben den Regierungsabweichlern, die je nach Fortgang der Eurokrise möglicherweise noch weiteren Zulauf erhalten, gibt es unter den aussichtsreichen Parteien nur das Lager der “Linken” und der “Alternative für Deutschland” (AfD), die völlig konträre Vorstellungen von Europa haben und den bisherigen Kurs rundweg ablehnen. “Profiteure zur Kasse”Die “Linken” fordern etwa unter dem Slogan “Profiteure der Krise zur Kasse” eine europaweite einmalige Abgabe auf große Vermögen, die EU sollte gerechter und sozialer werden und die EU-Verträge um eine “soziale Fortschrittsklausel” ergänzt werden. Letztlich votieren sie auch in der Europapolitik für ein Zurückdrängen des Privatsektors, ein weiteres Aufblähen des Staates, eine europaweite Umverteilungspolitik und eine Art Euro-Planwirtschaft, die sie als “Neustart der EU” bezeichnen. Die AfD wiederum hat sich der Euro-Auflösung verschrieben. Nationale Währungen sollten – zunächst als Parallelwährungen – wiedereingeführt oder “kleinere stabilere Währungsverbünde” etabliert werden. Die Partei steht aber grundsätzlich zur Einhaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien.Blickt man auf die Parteiprogramme der “Euroretter” CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne, so wird schnell deutlich, dass die stillschweigende Eurorettungskoalition nur für die temporäre Stabilisierung der Währungsunion eingegangen worden ist. Denn auf mittlere Frist unterscheiden sich die Umgestaltungsvorstellungen für die Eurozone durchaus gravierend.Unionsparteien und FDP pochen darauf, dass keine Hilfsleistung ohne Gegenleistung erfolgen dürfe. Außerdem wird es nach ihnen “keine Vergemeinschaftung von Schulden und keine Euro-Bonds geben”, wie etwa Bundeskanzlerin Merkel nicht müde wird zu betonen. Allerdings hatte sie zuletzt diesbezüglich alte – härtere – Positionen räumen müssen und “rote Linien” zurückverlegt. Hier setzt die Kritik der SPD an, die Regierungskoalition verschweige den deutschen Wählern die tatsächlichen Finanzlasten. Zumindest eine Verschleierungstaktik ist der Bundesregierung durchaus vorzuwerfen, wenn Merkel etwa einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland dezidiert ausschließt, aber andere – ebenso den deutschen Steuerzahler belastende – Zugeständnisse etwa im Hinblick auf die Zinslasten unerwähnt lässt.Andererseits unterschlagen SPD und Grüne bei ihrer Kritik an das Regierungslager gerne, dass sie noch weniger Hemmungen haben, die Euro-Krisenländer mit Finanzhilfen zu unterstützen. “Sparen allein führt nicht zum Ziel”, steht etwa im Programm der SPD, und die Grünen fordern offen die Einführung von Euro-Bonds, was Deutschland unmittelbar neue Finanzlasten aufhalsen würde.Beiden Parteien gemeinsam ist, dass sie zur Finanzierung der neuen und alten Eurohilfen der Wirtschaft weitere Daumenschrauben anlegen sowie die “Besserverdienenden” und “Vermögenden” dafür stärker heranziehen wollen. Hierzu kündigen sie Steuererhöhungen und Vermögensabgaben an. Außerdem votieren sie für die Einführung eines “europäischen Schuldentilgungsfonds”. Der Plan sieht zwar einen verbindlichen Schuldenabbau- und Reformplan vor, doch zunächst werden die Schuldenrisiken vergemeinschaftet und der Konsolidierungsdruck auf andere Länder wird verringert.Auch im Hinblick auf die Etablierung einer Bankenunion und die damit verbundene Fragestellung, wie mit den Altlasten der Geldhäuser umgegangen wird und die bisherigen Einlagensicherungssysteme angepasst werden sollen, stehen Union und FDP eher auf der Bremse, während SPD und Grüne gerne in Vorleistung gehen und Gas geben würden.Eher einsilbig sind die Äußerungen hingegen zur Rolle der EZB. CDU/CSU und FDP betonen den Wert einer unabhängigen Notenbank. SPD und FDP setzen sich konkret für eine strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht ein; die SPD will die Bankenaufsicht später sogar in eine eigene Behörde ausgliedern. Die Grünen sprechen indes sibyllinisch von einer Weiterentwicklung des aufsichtsrechtlichen und geldpolitischen Instrumentariums. Und die FDP will die Stimme der Bundesbank in der EZB strukturell stärken. Wie sie das bewerkstelligen will und wie (un)realistisch die Umsetzung des Vorhabens ist, darüber hält sie sich bedeckt.Allen Parteien gemeinsam ist, dass ihnen eine eigene Vision für das zukünftige Europa fehlt. Es werden allenfalls die nationalen gesellschaftspolitischen Entwürfe übertragen, die Realisierungschancen aber in keiner Weise angesprochen. “Keiner will sich mit der schwierigen Frage auseinandersetzen, wie viel Integration wir in Europa letztlich wollen und was wir bereit sind, dafür zu tun”, kritisiert etwa Jens Wilhelm, Vorstand von Union Investment in seiner Programmanalyse. “Weiter so!”Dabei sind die Erwartungen an Deutschland hoch. Die ausländische Öffentlichkeit sieht die Bundesregierung als inoffiziellen Taktgeber für Europa. Und in diesem Sinne ist die Hoffnung groß, dass nach der Wahl von der jeweiligen Bundesregierung klare Signale für die Fortentwicklung der Währungsunion ausgehen.Aber wahrscheinlich wird es gar nicht dazu kommen. Denn im Falle einer Neuauflage der bisherigen Koalition wird der Berliner Politikstil wohl einfach fortgesetzt. Auch eine große Koalition wird daran nichts ändern, weil der kleinste gemeinsame Nenner von CDU/CSU und SPD nun mal einzig der Wunsch nach der Stabilisierung der Eurozone ist. Allenfalls dürfte es – auf Drängen der SPD – auf ein paar zusätzliche Zugeständnisse für die Krisenländer hinauslaufen. Die EZB wird dann weiter als Eurorettungsinstitution in Beschlag genommen. Für die Euro(pa)politik heißt das: weiter so! Keine Experimente!