Große Koalition mit "rekordverdächtiger Halbzeitbilanz"
br Frankfurt – Die große Koalition scheint “besser als ihr Ruf” zu sein. Zumindest hat die Groko nach 15 Monaten bereits mehr als 60 % ihrer Koalitionsversprechen eingelöst. In der Wahrnehmung der Wähler zeigt sich dagegen ein ganz anderes Bild – nur 10 % aller Wähler schätzen, dass die Regierung alle oder fast alle Ziele umsetzt, die sie verspricht. Das geht aus einer am Montag vorgelegten Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) sowie des Instituts für Demoskopie Allensbach zur “Halbzeitbilanz der Großen Koalition zur Umsetzung des Koalitionsvertrages 2018” hervor. “Zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Umsetzung von Wahl- und Regierungsversprechen klafft eine für die Glaubwürdigkeit und die Reputation der Demokratie schmerzhafte Lücke”, sagte Aart de Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung zum Ergebnis der Studie. Man könne davon ausgehen, dass die aktuelle Regierung nahezu alle selbst gesteckten Ziele erfüllt.Die schwarz-rote Koalition hat bis Ende Juni 2019 von ihren Wahlversprechen bereits 140 (47 %) vollständig oder teilweise umgesetzt, weitere 40 (14 %) wurden zumindest in Angriff genommen. Für die Zwischenbilanz der Großen Koalition dürfte das Ergebnis ein wichtiger Gradmesser sein. Diese soll bis Mitte Oktober gezogen werden, wie die Spitzen der regierenden Parteien mitteilten. Auf Basis der Zwischenbilanz prüfen die Parteien, allen voran die Sozialdemokraten, ob und wie eine Zusammenarbeit der Regierung möglich ist.Die vorherige Koalition hatte zur Halbzeit 49 % ihrer Versprechen eingelöst, am Ende waren es 80 % der Ziele, die die Regierung angestoßen oder umgesetzt hat. Waren es damals noch 188 Versprechen, hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag voriges Jahr 296 konkrete Maßnahmen und Ziele vereinbart. Dass davon jetzt bereits knapp drei Fünftel erfüllt oder angestoßen worden sind, weist auf “eine rekordverdächtige Halbzeitbilanz der amtierenden Bundesregierung hin”, so die Autoren der Studie. In absoluten Zahlen war das Innenministerium am fleißigsten: 26 von 49 Versprechen wurden hier bislang erfüllt oder auf den Weg gebracht. Das Verteidigungsministerium hat bereits 77 % der 13 Versprechen voll umgesetzt.Die Außenwahrnehmung der Regierungsarbeit hat sich dennoch erneut verschlechtert. Wie die Studie zeigt, ist die Lücke zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Einhaltung von Koalitionsversprechen im Laufe der beiden vergangenen Jahre noch einmal größer geworden. Während nur knapp jeder Zehnte glaubt, die Regierung erfülle einen Großteil ihrer Ziele, glauben 44 %, sie erfülle nur einen kleinen Teil. Vor zwei Jahren glaubten noch 14 % daran, dass ein Großteil erfüllt werde. Die ohnehin schon große Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität hat sich weiter verschärft.Der SPD sollte das zu denken geben: Die Sozialdemokraten haben – wie bereits in der vorigen schwarz-roten Regierung – den größten Teil ihrer Wahlversprechen im Koalitionsvertrag eingebracht und bereits 33 der 73 Versprechen umgesetzt. Das sind 45 % aller Versprechen – die Quote von CDU/CSU ist mit 44 % an umgesetzten Zielen ähnlich, allerdings hat die Union auch nur 32 eigene Versprechen eingebracht (siehe Grafik). In der Außenwahrnehmung schlägt sich das für die SPD jedoch nicht nieder.Unabhängig von der Studie will die große Koalition Handlungsfähigkeit demonstrieren. Im Koalitionsausschuss am Sonntagabend hatte man sich darauf geeinigt, die teilweise Abschaffung des Solis am Mittwoch ins Kabinett zu bringen, und einen Zeitplan bis zum 20. September für die Klimabeschlüsse aufgelegt. Außerdem hatte sich die schwarz-rote Koalition auf eine Reform der Mietpreisbremse und eine Verlängerung bis 2025 geeinigt. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus sagte dazu: “Vor dem Hintergrund sind wir gar nicht so schlecht, wir müssen es nur besser verkaufen.” In Vorahnung auf die Zwischenbilanz im Oktober äußerte sich auch CSU-Chef Markus Söder. “Wir müssen im nächsten Vierteljahr so viele Dinge wie möglich beschließen”, sagte er mit Blick auf die Ungewissheit, wie lange die SPD noch in der Regierung bleibe. – Bericht Seite 7