EUROPA HAT DIE WAHL

"Größte grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten"

Nach Briten und Niederländern wählen heute Iren und Tschechen - Banger Blick auf Populisten - Kramp-Karrenbauer verteidigt Spitzenkandidaten-Prozess

"Größte grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten"

Heute findet in Irland und Tschechien die Europawahl statt, nachdem Briten und Niederländer die viertägige Prozedur gestern eröffnet hatten. Ergebnisse wurden noch nicht bekannt. In beiden Ländern stand vor allem das Abschneiden der Populisten im Blick. Der Spitzenkandidaten-Prozess erhielt derweil Zuspruch. ahe Brüssel – Die Europawahl hat begonnen. Als Erstes wurden gestern 53 Millionen wahlberechtigte Briten und 13,5 Millionen Niederländer an die Wahlurne gerufen. In Großbritannien, wo die Wahl von einer neuerlichen Regierungskrise überschattet wurde (siehe Seite 6), gab es 73 Mandate für das neue Europaparlament zu verteilen; in den Niederlanden waren es 26.Ergebnisse der Abstimmung werden erst am Sonntagabend veröffentlicht. In beiden Ländern stand aber das Abschneiden von populistischen Parteien im Fokus. Die neue “Brexit-Partei” des britischen Europagegners Nigel Farage dürfte laut Umfragen rund ein Drittel der Stimmen erhalten, möglicherweise sogar noch mehr. Die Tory-Partei von Premierministerin Theresa May wurde dagegen mit 12 % abgeschlagen auf dem vierten Platz gesehen.In den Niederlanden steht der nationalistische Politikneuling Thierry Baudet und sein Forum für Demokratie (FvD) davor, aus dem Stand 15 % zu holen – so viel wie auch die liberale Partei von Ministerpräsident Mark Rutte. Die Partei FvD, die es bei der letzten Europawahl 2014 noch gar nicht gegeben hatte, hatte überraschend die jüngste Provinzwahl in den Niederlanden gewonnen und will ein Referendum über die niederländische EU-Mitgliedschaft erzwingen. In Deutschland hätte ein Referendum über einen “Dexit” keine Chance, wie Umfragen bestätigen (siehe Grafik).Der Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, betonte gestern, die Europawahl sei “die größte grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten und eine Chance, über unsere Zukunft zu entscheiden”. Jo Leinen, SPD-Europaabgeordneter, äußerte sich dagegen kritisch: In Großbritannien wie auch in anderen Mitgliedstaaten werde die Europawahl als Ersatzreferendum gegen die Regierung benutzt, anstatt sich mit der Zukunft der EU auseinanderzusetzen, monierte Leinen.Es geht bei der Wahl nicht nur um die 751 Sitze für das neue EU-Parlament, das Anfang Juli zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt, sondern damit einhergehend auch um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Präsident der Europäischen Kommission. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer machte sich bei einer Veranstaltung in Berlin noch einmal überraschend deutlich für das “Spitzenkandidaten-Prinzip” stark, das besagt, dass nur derjenige Kommissionspräsident werden kann, der sich zuvor als Spitzenkandidat auch den Wählern gestellt hat. Unter den EU-Staats- und -Regierungschefs ist dieses Prinzip umstritten, weil es ihre Macht einschränkt, einen eigenen Kandidaten auszuwählen. Unter anderem hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kürzlich erklärt, er fühle sich an den Spitzenkandidaten-Prozess nicht gebunden. Kramp-Karrenbauer lobte diesen dagegen als demokratisch und transparent. Daher gebe es für sie auch nur zwei mögliche Kandidaten für die Juncker-Nachfolge, sagte sie: Manfred Weber von der CSU und den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans.Heute werden die Europawahlen in Irland und Tschechien fortgesetzt, morgen in Lettland, Malta und der Slowakei und am Sonntag dann in den übrigen 21 EU-Ländern.Die US-amerikanische Handelskammer AmCham Germany forderte mit dem Blick auf die Wahlen Verbesserungen in den transatlantischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. “Wir sind überrascht, dass die transatlantische Partnerschaft nur wenig in den Wahlprogrammen der Parteien thematisiert wird”, sagt der Präsident der Kammer, Frank Sportolari. Dabei sei diese Partnerschaft die Basis für Wohlstand und Sicherheit in Europa. Sportolari forderte noch einmal ein transatlantisches Freihandelsabkommen.In Deutschland flammte unterdessen erneut die Diskussion auf, wo das EU-Parlament künftig überhaupt seinen Sitz haben soll. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hatte im März noch für eine Abschaffung des Standorts Straßburg plädiert. Jetzt schloss sie sich der Forderung von Manfred Weber an, das Europaparlament selbst über den Sitz entscheiden zu lassen. Dieser Vorschlag sei besser als ihrer, räumte sie ein.Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist der Ansicht, dass es künftig keinen Doppelsitz Brüssel/Straßburg mehr geben dürfe. “Die häufigen Wechsel – verächtlich wird von manchen Wanderzirkus gesagt -, das ist nicht in Ordnung”, sagte er. Man müsse irgendwann eine Entscheidung treffen. Zuletzt erschienen: Europa im Spiel der globalen Großmächte, 22.5. Digitaler Binnenmarkt und Porträts Giegold/Keller, 21.5. Wahlkampfschlager Steuergerechtigkeit und Porträts Schirdewan/Demirel, 18.5.