"Größtmöglicher Konsens"

Britische Regierung schlägt zum Thema Brexit neue Töne an - Wahlprogramm radikal ausgemistet

"Größtmöglicher Konsens"

Die Einigung mit den demokratischen Unionisten aus Nordirland auf eine Tolerierung einer Tory-Minderheitsregierung ist immer noch nicht in trockenen Tüchern. Das von der Queen vorgetragene Regierungsprogramm von Theresa May war dennoch aussagekräftig. Beim Thema Brexit setzt die Premierministerin nun auf Konsens statt Konfrontation.Von Andreas Hippin, LondonDie britische Premierministerin Theresa May hat für ihre harte Linie in Sachen Brexit offenbar nicht ausreichend Unterstützung gefunden. Die eigentlich für den 19. Juni angesetzte “Queen’s Speech”, bei der die Königin vorträgt, was ihre Regierung in den kommenden zwölf Monaten vorhat, enthielt dazu eine bemerkenswerte Passage: “Meine Minister haben sich darauf festgelegt, mit dem Parlament, den Regionalregierungen, Unternehmen und anderen den größtmöglichen Konsens über die Zukunft unseres Landes jenseits der EU herzustellen.” Bislang war zwar stets vom “bestmöglichen Deal” die Rede. Ob Konsens darüber besteht, die Kontrolle der Zuwanderung vor die Interessen der Wirtschaft des Landes zu stellen, interessierte die Hardliner in Mays Kabinett jedoch nicht. First Secretary Damian Green und Schatzkanzler Philip Hammond gaben aber mittlerweile Kontra.Über Proteste der Schotten und vieler Nordiren gegen den EU-Austritt ging man in Whitehall zuvor geflissentlich hinweg. Nun wird als eine der Prioritäten genannt, “ein einigeres Land aufzubauen, die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen England, Nordirland, Schottland und Wales zu stärken”. Wirtschaft fordert KlarheitCarolyn Fairbairn, die Chefin des Unternehmensverbands CBI, nannte es erfreulich, “dass die jüngste Hitzewelle bei der Regierung für eine wärmere Sicht der Wirtschaft und ihres Beitrags zum Leben der Menschen gesorgt hat”. Dieser willkommenen Veränderung des Tons müssten nun Klarheit und entsprechendes Handeln folgen. Aus ihrer Sicht hat Priorität, die vollen wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft in gemeinsamem Markt und Zollunion zu erhalten, bis eine endgültige Übereinkunft erreicht und umgesetzt ist.Bislang gibt es keine Einigung mit der Democratic Unionist Party (DUP) über die Tolerierung einer Tory-Minderheitsregierung. Man darf aber davon ausgehen, dass der Inhalt der Rede mit der DUP abgestimmt war. Die Unionisten werden bei der Abstimmung über die Rede im Unterhaus in der kommenden Woche aller Voraussicht nach mit den Konservativen stimmen.May will dem Vorrang des europäischen Rechts mit einem Aufhebungsgesetz (Great Repeal Bill) ein Ende bereiten. Es würde das Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften von 1972 aufheben und zugleich das derzeit gültige europäische Recht zu britischem Recht machen. Danach könnte sich die Regierung die Gesetze nach und nach vornehmen und unerwünschte Vorschriften außer Kraft setzen. Das in der Rede angekündigte Gesetz soll erst in Kraft treten, wenn Großbritannien die EU verlässt.Die Rede zeigt, dass im Wahlprogramm der Konservativen ausgemistet wurde. Die zuvor geforderte Beteiligung von vermögenden Pensionären an den Kosten der häuslichen Pflege, von der Opposition als “Demenzsteuer” gebrandmarkt, wurde nicht mehr erwähnt. Es soll demnach auch nicht mehr die Bedürftigkeit geprüft werden, bevor der Heizkostenzuschuss für Rentner gezahlt wird. Die kostenlosen Mittagessen für alle Kinder werden wohl doch nicht gestrichen. Mays Plan zum Bau neuer Gymnasien wurde ebenso sang- und klanglos fallen gelassen wie das Vorhaben, die Betrugsbekämpfungsbehörde SFO in der National Crime Agency aufgehen zu lassen.Interessanterweise war auch nicht die Rede von einem Besuch Donald Trumps, obwohl bevorstehende Staatsbesuche üblicherweise angekündigt werden. Mays Einladung an den US-Präsidenten hatte heftige Proteste hervorgerufen. Offenbar zog Trump es vor abzuwarten, bis sich die Wogen geglättet haben.Unterdessen lichten sich in Mays Amtssitz in der Downing Street die Reihen. Wie Buzzfeed News berichtet, legte John Godfrey, der bislang als Mays Head of Policy fungierte, sein Amt nieder. Der Abgang seines Stellvertreters Will Tanner wurde bereits vergangene Woche gemeldet. Mays Berater Fiona Hill und Nick Timothy mussten auf Druck ihrer innerparteilichen Gegner gehen.Elisabeth II hielt ihre Thronrede ohne das übliche Zeremoniell. Eine prunkvolle Prozession vom Buckingham Palace nach Westminster gab es nicht. Die Königin trug statt Krone einen Hut, dessen Farben und Muster stark an die Flagge der Europäischen Union erinnerten – sicher nur ein Zufall. Ebenfalls ungewöhnlich: Im kommenden Jahr wird es keine “Queen’s Speech” geben. Mays Programm gilt bis 2019.