Harter Weg zu trockenen Oasen
Von Angela Wefers, Berlin
Ende Oktober beim G20-Gipfel wird die globale Mindeststeuer und die Neuverteilung von Steueraufkommen politisch besiegelt. Mit dem Beschluss des Kommuniqués der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer ist der politische Prozess der Konzeption abgeschlossen. Dann beginnt die Phase der Implementierung dieses Mammutprojekts, das die Besteuerung multinational operierender Konzerne revolutionieren wird. „Der Implementierungsplan ist der G20 als Teil des inklusiven Frameworks geliefert worden“, sagte Martin Kreienbaum der Börsen-Zeitung. Kreienbaum ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe von 140 Ländern, die mit der OECD das Rahmenwerk entwickelt haben. Im Bundesfinanzministerium leitet er die Unterabteilung für Internationales Steuerrecht.
Mit 136 Ländern haben fast alle beteiligten Staaten der geplanten Neuregelung zugestimmt. Es fehlen nur Kenia, Nigeria, Pakistan und Sri Lanka. „Wir haben die politische Vereinbarung im Detail“, konstatiert Kreienbaum zu der weitreichenden Vereinbarung. „Es ist ein Wert als solcher, dass wir uns international auf Besteuerungsstandards geeinigt haben.“ Zwei unterschiedliche Säulen umfasst das Konzept. In Säule 1 geht es um die Neuverteilung von Steuersubstrat zwischen Markt- und Sitzländern. Damit sollen Länder mit Absatzmärkten mit wenig eigener Wertschöpfung mehr vom globalen Steuerkuchen bekommen. Vor allem ist dies aber ein Schritt in die Besteuerung digital angebotener Leistungen, die ohne Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt für den Fiskus auskommen. Die US-Tech-Giganten Amazon, Google, Facebook und Apple hatten wegen ihrer geringen Steuerzahlungen in Absatzländern Unmut ausgelöst. Es kam zu einer Welle neuer nationaler Digitalsteuern. Betroffen sind von Säule 1 weltweit rund 100 besonders profitable Konzerne mit mehr als 20 Mrd. Euro Erlösen und einer Umsatzrendite von mindestens 10%. Welche genaue Gewinngröße dabei zugrunde gelegt wird, dürfte noch zu verhandeln sein. In den OECD-Unterlagen ist dies nicht spezifiziert. „Das gesamte Instrument der Säule 1 steht vollständig neben der bisherigen Gewinnermittlung“, erläutert Kreienbaum die neuen Regeln. Die Besteuerungsrechte werden so umverteilt, dass die Sitzländer ein Viertel des Gewinns besteuern dürfen, der über 10% Rendite liegt. Im Gegenzug muss das Sitzland auf Besteuerungsrechte verzichten. „Der Aufwand ist überschaubar, es geht überwiegend um Korrekturen des handelsrechtlichen Konzernabschlusses“, sagt Kreienbaum mit Blick auf die betroffenen Unternehmen. Die Wirtschaft selbst baut für den Mehraufwand auf Rechtssicherheit und die Vermeidung von Doppelbesteuerung durch klare Regelungen zwischen den Staaten.
Säule 2 solle mit einer Mindestbesteuerung von effektiv 15% Steueroasen austrocknen. Betroffen sind von dieser Regelung Unternehmen mit mehr als 750 Mill. Euro Jahresumsatz – und damit deutlich mehr als in Säule1. Unter dem Druck des internationalen Steuerwettbewerbs waren die Steuersätze in den vergangenen Dekaden stark gesunken. Die neuen Regeln sollen den Steuerwettbewerb laut OECD nicht ausschalten, ihm aber multilateral vereinbarte Schranken auferlegen.
Völkerrechtlicher Vertrag
Für Säule 1 und 2 sind unterschiedlich rechtliche Schritte nötig, um das Rahmenwerk umzusetzen. Für die Neuverteilung der Besteuerungsrechte bedarf es einer multilateralen Konvention, eines völkerrechtlichen Vertrags, der in allen nationalen Parlamente ratifiziert werden muss. In Deutschland sind dies Bundestag und Bundesrat. Der Text dafür soll früh im Jahr 2022 vorliegen und Mitte des nächsten Jahres feierlich unterzeichnet werden. Früh im Jahr soll auch der Entwurf für die Umsetzung des neuen Regelwerks in der nationalen Steuergesetzgebung aller beteiligten Länder dazu vorliegen. Der völkerrechtliche Vertrag wird auch die Verpflichtung enthalten, auf alle nationalen Digitalsteuern und ähnliche Regelungen zu verzichten.
Einiges Europa
Zur Einführung der globalen Mindeststeuer sind noch für November Vorlagen zum Mechanismus und für den Geltungsbereich angekündigt. „In Europa sind wir gut aufgestellt, weil wir die Mindestbesteuerung mit einer Richtlinie einheitlich implementieren können“, stellt Kreienbaum fest. Kurz vor dem Beschluss in der Länderarbeitsgruppe hatten sich Irland, Estland und Ungarn noch der Vereinbarung angeschlossen. Sie liegen derzeit unter dem Satz der künftigen effektiven Mindestbesteuerung und müssen mit Aufkommeneinbußen rechnen. Übergangsregelungen erlauben ihnen aber eine milde Anpassung an die neuen Gegebenheiten.
Für die europäische Gesetzgebung, wo in Steuerfragen Einstimmigkeit erforderlich ist, wird es damit leichter. „Wir haben in Europa schon den politischen Konsens unter allen Mitgliedstaaten, deshalb dürfte es sehr schnell gehen“, erwartet Kreienbaum. Die Richtlinie soll demnach Ende des Jahres – spätestens im Februar– vorgelegt und unter französischer Präsidentschaft beraten werden. „Frankreich hat sicher den Ehrgeiz, die Richtlinie bis zum Ende der Ratspräsidentschaft Ende Juni zu verabschieden.“ Danach geht es ans nationale Recht. So ist bislang nicht geregelt, welche Gebietskörperschaft hierzulande das neue Aufkommen bekommt. „Wir brauchen auch im nationalen Recht noch eine Norm, die es uns erlaubt, das international eingeräumte Besteuerungsrecht auszuüben“, sagt Kreienbaum.