Haruhiko Kuroda 75
Von Martin Fritz, TokioJapans oberster Währungshüter könnte schon längst seine Beamtenpension genießen. Aber als Haruhiko Kuroda im April 2013 die Führung der Notenbank übernahm, hatte er das gesetzliche Rentenalter bereits überschritten. Damals rechnete er allerdings sicher nicht damit, dass er an seinem 75. Geburtstag am heutigen Freitag immer noch im Amt sein würde. Vielmehr setzte er darauf, mit seinem massiven Wertpapierkaufprogramm die Deflation binnen zwei Jahren aus Japan zu vertreiben und das Inflationsziel von 2 % rasch zu erreichen. Seine Annahme erwies sich jedoch als Illusion.Also blieb Kuroda als erster Gouverneur an der Spitze der Bank of Japan (BoJ). Bleibt er wie im Arbeitsvertrag vorgesehen bis März 2023, wäre er zu Rentenbeginn 78 Jahre alt. Ganz offensichtlich hofft der starrköpfige, aber liebenswerte Notenbanker, seine Mission der Reflationierung bis dahin endgültig erfüllt zu haben. Allerdings bewegt sich die Geldpolitik des früheren Chefs der Asiatischen Entwicklungsbank ADB schon am Limit. Die Bilanzsumme der BoJ übersteigt mit 572 Bill. Yen (4,8 Bill. Euro) inzwischen die jährliche Wirtschaftsleistung von Japan. Dafür kaufte Kuroda fast 44 % der Staatsanleihen und 5 % der Marktkapitalisierung des Topix auf. Angesichts dieser Entwicklung ist das Inflationsziel von 2 % für Premier Shinzo Abe und Finanzminister Taro Aso inzwischen nicht mehr sakrosankt. Einige Beobachter fordern daher einen neuen Pakt zwischen BoJ und Regierung.Die nächste Stunde der Wahrheit schlägt am kommenden Donnerstag bei der monatlichen Sitzung der BoJ-Führung. Nicht wenige Analysten erwarten eine erneute Lockerung der Geldpolitik. Als Gründe nennen sie die Schritte anderer Notenbanken, die schwachen Exporte, die Anhebung der Umsatzsteuer sowie die negative Preisentwicklung. Im September fiel die Kerninflationsrate auf das 29-Monats-Tief von 0,3 %. Zuletzt erklärte die BoJ-Führung, sie beobachte aufmerksam, ob der Schwung der Preise verloren gehe. Die Formulierung interpretierte der Finanzmarkt als Vorbereitung auf die nächste monetäre Lockerung. Ein interessantes Argument dafür kam von UBS-Japan-Ökonom James Malcolm: Gouverneur Kuroda trug bei seiner Pressekonferenz im September erstmals seit langem wieder eine rote Krawatte – diese Farbe signalisierte bisher jedes Mal eine weitere Öffnung der Geldschleusen.Allerdings hatte es Kuroda in der Vergangenheit bevorzugt, den Finanzmarkt durch das Abfeuern einer Bazooka zu überraschen und dadurch eine besonders starke Wirkung zu erzielen. Diesmal scheint er eine andere Taktik zu verfolgen: Er diskutiert seine mutmaßlichen Schritte öffentlich. Kürzlich verwies er auf eine BoJ-Analyse von 2016. Danach wirkten sich kurzfristige Zinsen stärker auf die Wirtschaft aus als die langfristigen Raten. Diese Erkenntnis spricht dafür, dass die BoJ den Negativzins von aktuell -0,1 % verschärfen wird. Aber dies wird eine schwere Entscheidung für Kuroda sein. Die Finanzbranche betrachtet einen höheren Minuszins als ein rotes Tuch. Daher muss der Gouverneur ein Vorgehen wählen, das die Banken und ihre Kunden weitgehend verschont.