AUS DER KAPITALMARKTFORSCHUNG

Hayeks Konzept einer entstaatlichten Währung

Otmar Issings Buch "Stabiles Geld - eine Illusion": Eine Ortsbesichtigung des gegenwärtigen Zentralbankwesens

Hayeks Konzept einer entstaatlichten Währung

Von Markus C. Kerber *) Die vor kurzem erschienene, erweiterte Fassung der 21. Friedrich-August-von-Hayek-Vorlesung, aus der Feder keines Geringeren als Otmar Issing, ist die stichhaltigste Bestandsaufnahme der gegenwärtigen EZB-Politik und der Rolle der Zentralbanken einerseits und andererseits das Bemühen, Hayeks Konzept einer entstaatlichten Währung ins Verhältnis zur gegenwärtigen Zentralbankpraxis zu setzen. Wettbewerb der WährungenIssings Bezugnahme auf Hayek ist mehr als der formale Tribut des Vortragenden gegenüber dem Namensgeber der Vorlesung. So schildert Issing in der Vorbemerkung Hayek als einen für sein Denken maßgeblichen Ideengeber, dessen Konzept des Währungswettbewerbs er anlässlich der Vorbereitung eines Sammelbandes über Geldpolitik 1980 intensiv studiert habe. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich Issing auf die Argumentationslinien von Hayek einlässt und die Niederkunft seines Konzeptes einer entstaatlichten Währung und des Wettbewerbs der privaten Notenbanken untereinander im Einzelnen schildert.Dabei versäumt es Issing nicht, Geldpolitik unter dem Gesichtspunkt der von Hayek vertretenen Wissensskepsis zu beleuchten. Zwar haben Notenbanken exzellente Ökonomen, doch sorge nicht schon die Besetzung der Entscheidungspositionen mit den besten Geldtheoretikern dafür, dass auch die geldpolitische Praxis optimal sei. Ohne den Bogen zur EZB zu spannen, erwähnt Issing Hayeks Auffassung, dass Makroökonomie gar keine Wissenschaft und die forcierten Bemühungen der quantitativen Analyse mit Hilfe mathematischer Methoden untauglich seien, komplexe Phänomene auf Kapitalmärkten wirklichkeitsgetreu darzustellen und zutreffende Einsichten für die Geldpolitik zu liefern. Waren-Reservewährung?Ob Issing diese Meinung, die an Hayeks These von der Anmaßung des Wissens anknüpft, teilt, verschweigt er dem Leser. Indessen weist er darauf hin, dass das Gegenkonzept Hayeks zur Anmaßung von Wissen der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren sei. Bis dahin befinden sich Hayek und Issing im Gleichklang.Kontroverser wird es, wenn es um die Frage geht, was Wettbewerb als Entdeckungsverfahren für die Organisation der Währungsordnung bedeute. Issing referiert die Ablehnung der Golddeckung durch Hayek und dessen Sympathie für eine Waren-Reservewährung. Er macht gegen dieses Konzept Bedenken geltend. Zum einen könne sich die breite Öffentlichkeit nicht an der Entwicklung der Rohstoffpreise orientieren, zum anderen würden mit der Zahl konkurrierender privater Währungen, die von privaten Notenbanken zu emittieren wären, die Transaktions- und Informationskosten zunehmen. Privates vs. StaatskartellEr hat Recht, wenn er betont, dass diese von Hayek als Übergangsprobleme bezeichneten Schwierigkeiten prinzipieller Art sind. Damit kommt es zu der entscheidenden argumentativen Bruchstelle zwischen beiden: Hayek reduziert alle Probleme der Geld- und Währungspolitik in westlichen Ländern auf das staatliche Monopol der Noten- und Zentralbank, die Geldpolitik zu bestimmen. Issing distanziert sich von Hayeks Fixierung auf die Staatlichkeit als sozusagen strukturellem Antagonismus zur monetären Stabilität. Denn Hayek verkenne, dass sich unter den privaten Notenbanken aufgrund der nicht idealen Wettbewerbsvoraussetzungen sehr schnell Kartelle oder Oligopole bilden würden, die das Publikum über den Zustand der jeweilig ausgegebenen Noten täuschen könnten.Es ist verdienstvoll, dass Issing mit seinen temperierten Bemerkungen (“Das sind starke Behauptungen”) dem Glauben Hayeks an die Überlegenheit privat emittierten Geldes argumentativ zu Leibe rückt. Er hätte neben dem Hinweis auf die erheblichen informatorischen Asymmetrien auf einem Markt für private Währungen noch darauf verweisen können, dass erst durch die Staatlichkeit eines Währungssystems die notwendigen Bedingungen für seine Stabilität geschaffen wurden. Vorteil staatlicher AutoritätDie von Hayek erwähnten Münzfälscher lebten in einer Zeit, in der die Währungsordnung eben nicht zentralstaatlich garantiert war. Gab es bislang nie eine stabile Währung ohne die dahinter stehende staatliche Autorität, so erklären sich diverse Probleme des Euros auch damit, dass die Märkte nach wie vor mit dem Gedanken spielen, dass hinter dem Euro nicht ein Staat, sondern ein Staatenbund steht, der im Übrigen durch heterogene Volkswirtschaften und zum Teil sich widersprechende, inkompatibele geldpolitische Kulturen geprägt ist.Die Noblesse, mit der sich Issing der gedanklichen Falle von Hayek annimmt – die Probleme der Währungsordnung entstehen durch ihre Staatlichkeit -, erlaubt es ihm, die gewiss stimulierenden und anregenden Vorschläge von Hayek im Ergebnis als politisch irrelevant abzuhaken. Dies tut er, indem er das Monitum Fullartons zitiert: “The reality of the magnitude of an evil can be no justification for the adoption of an impractical remedy.” Hayeks ZirkelschlussHayek hätte sich mit der erfolgreichen Geldpolitik der Bundesbank auseinandersetzen müssen. Dann wäre er von selbst auf seinen Zirkelschluss gestoßen, wonach staatliche Geldpolitik definitorisch die Ursache aller Probleme sei. Dementgegen hat die Geldpolitik der Bundesbank den prinzipiellen Entstaatlichungsansatz von Hayek widerlegt. Bitcoin keine WährungIssing lässt es indessen nicht damit gut sein, sich in dieser, Hayek gewidmeten, Vorlesung den Konzepten des Namensgebers zu widmen, sondern nimmt sich die Freiheit, auf modische Phänomene wie digitales Geld und die Forderung nach Abschaffung des Bargelds einzugehen.Bei der Einordnung des digitalen Geldes schärft Issing zunächst die Begrifflichkeit, indem er klarstellt, dass es sich hierbei – also insbesondere beim Bitcoin-System – eben nicht um eine Währung, sondern um Verrechnungseinheiten handele, die aufgrund privatrechtlicher Vereinbarung als Zahlungsmittel in bestimmten Verrechnungskreisen eingesetzt werden. Trotz dieser Klarstellung, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass der Hype um digitale Währungen an die Spekulation um Tulpenzwiebeln im Holland des 17. Jahrhunderts erinnere, schließt Issing nicht aus, dass für den Fall einer staatlich veranlassten Hyperinflation privat organisierte digitale Währungen ein wettbewerbliches Korrektiv sein können.Verdienstvoll ist auch die Auseinandersetzung mit den aus Zentralbankkreisen stammenden Vorschlägen zur Abschaffung des Bargelds, die Issing samt und sonders als mit den eigentumsrechtlichen Gewährleistungen einer Privatrechtsordnung unvereinbar einordnet.Nach dieser Auseinandersetzung mit einigen modischen Flirren, die sich zu ihrer Legitimierung teilweise auf Hayek berufen, widmet sich Issing den Actualia der Geld- und Währungspolitik und stellt hierbei die Herausforderungen für die Finanzstabilität in den Vordergrund. Dies führt unmittelbar zur Auseinandersetzung mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie Zentralbanken für die Finanzstabilität mit verantwortlich sein sollen. Zwar sind Preisstabilität und Finanzstabilität miteinander verwoben, doch reicht es nicht aus, wie Issing zutreffend ausführt, den Geldwert stabil zu halten, um auch die Finanzstabilität zu sichern. Umgekehrt gibt es mitnichten einen Trade-off zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität. EZB im ZielkonfliktHier hätte man sich vor dem Hintergrund des Zugriffs der EZB als Aufsichtsbehörde auf 80 % des Bilanzvolumens der Banken des Euro-Blocks problematisierende Erörterungen gewünscht. Das Bundesverfassungsgericht hat 174 Seiten gebraucht, um darzulegen, dass die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB noch mit den Ermächtigungen im AEUV vereinbar sei. Doch waren während der mündlichen Verhandlung, insbesondere von Bundesverfassungsrichter Müller, schwerwiegende Zweifel bekundet worden, ob man mit der Geldpolitik Risiken setzen dürfe, um sie gleichzeitig als Bankenaufsicht wieder einzufangen. Zu dieser Problematik schweigt sich Issing aus und begnügt sich mit zweifelnden Ausführungen darüber, dass man die Notenbanken auch noch vor den Karren der Finanzstabilität spannen will. Thema Unabhängigkeit Nunmehr folgt eine problematisierende Darstellung des Unabhängigkeitsstatus, den die Zentralbanken – insbesondere die EZB – postulieren, und den Versuchen, die damit in Verbindung stehen, das eigene Mandat im Sinne von Implied Powers ständig zu erweitern. Obschon die Korrelation zwischen der Unabhängigkeit der Zentralbank und Inflationsbewältigung empirisch außer Frage steht, dürfe ihr Unabhängigkeitsstatus nicht dazu führen, dass die Zentralbanken der Versuchung kompetenzieller Entgrenzung nachgeben. Dies gelte insbesondere für die Überschreitung der Grenze zur Fiskalpolitik, aber auch für Draghis Ankündigung, die EZB würde alles für den Zusammenhalt des europäischen Währungssystems tun, obschon dies im Wesentlichen den Regierungen vorbehalten bleiben müsse. Issing meint, dass diese kompetenziellen Entgrenzungen bekämpft werden könnten, indem an die zugrundeliegenden Motive des Maastricht-Vertrages bei der Konstitution der Europäischen Währungsunion und ihrer Zentralbank erinnert werde. Größte Bedrohung von innenWer der Selbstbescheidung nichts abgewinnen könne und die Zentralbank für alle möglichen Politikaufgaben in Anspruch nehme, der ruiniere ihre Autorität. Und dann der entscheidende Satz: “Die größte Bedrohung kommt von innen, von den Notenbanken selbst. Hier steht vor allem die strikte Beachtung des begrenzten Mandats im Vordergrund.” Dies führt Issing zurück zu Hayek, weil nach dem Bundesbankmodell das Gefahrenpotenzial, das aus dem staatlichen Geldmonopol erwächst, durch die im positiven Sinne Entpolitisierung gelöst worden war.Dies ist jedoch nicht der Blick nach vorn, sondern der Blick nach hinten, um nostalgisch-verklärt zu beschreiben, wie gut die deutsche Verhandlungsposition im Maastricht-Vertrag ihre Absichten artikuliert hatte. Indessen ist diese Beschwörung der Vergangenheit im Hinblick auf die unaufhörliche Politisierung der EZB fast naiv. Anmaßung der ZentralbankenVon der kompetenziellen Entgrenzung führt der Weg unmittelbar zu den Bedingungen der Geldpolitik bei ungewissen Rahmenbedingungen. Jetzt wird es wieder sehr hayekanisch, weil Issing nicht nur unter Hinweis auf die Hayek’sche Wissensökonomie, sondern auch aufgrund seiner Praxiserfahrung und unter Hinweis auf Mervyn King die Anmaßung der Zentralbanken bei der Analyse und Prognose der Kapitalmärkte geißelt. “Kein Ökonom kann mit hinreichender Begründung behaupten, sein Modell könne erklären, wie die Welt der Wirtschaft in Wirklichkeit abläuft.” Und noch deutlicher: “Die Neue keynesianische Makrotheorie unterliegt der Illusion, dass die Unsicherheit durch die mathematische Abbildung von Wahrscheinlichkeiten erfasst werden kann.” Schlussfolgerung: Doch das Beharren darauf, mit absoluter Treffsicherheit die wirtschaftliche Entwicklung zu prognostizieren und die Kapitalmärkte richtig beurteilen zu können, führe die Zentralbanken in die Irre. “Damit werden Notenbanken zu einer zusätzlichen Quelle der Unsicherheit – das Gegenteil dessen, was Geldpolitik zu leisten hat.” “Esprit de Corps”In den folgenden Ausführungen nimmt Issings Blick nach hinten zu. Er formuliert Postulate für die Governance einer Zentralbank, die im strikten Gegensatz zu dem autokratischen Regime von Mario Draghi stehen. Er meint, entsprechend der Bundesbank-Governance, dass jedes Mitglied eines Entscheidungsgremiums – so auch des EZB-Rates – einen “Esprit de Corps” atmen müsse und von dem Mainstream dieser Instanz meinungsmäßig beatmet werde. Dies mag als Becket-Effekt bezeichnet werden und für die Bundesbank in ihrer Kollegialität und in ihrer Konsensualität jene autoritativen Wirkungen gezeitigt haben, die wir geschichtlich kennen. Fromme WünscheEs ist politisch naiv gewesen, von der EZB eine ähnliche Governance zu erhoffen, stellt sie doch die lockende Versuchung für klassische Weichwährungsländer wie Frankreich und Italien dar, im Namen Europas jedweden ordnungspolitischen Einfluss Deutschlands auszuschalten. Es ist ferner politisch gefährlich, zu glauben, man könne im Blick zurück auf die Governance der Bundesbank einer supernationalen Institution wie der EZB mehr Rationalität – und damit auch mehr Vernunft – einhauchen. Draghi und seine Mannschaft von engen und engsten Mitarbeitern, allesamt ehemalige Angehörige der Banca d’Italia, haben vorgeführt, wie man sowohl das Direktorium als auch den EZB-Rat zu Entscheidungen nötigt. So bestand die Draghi-Praxis darin, an die Märkte die von ihm präferierten Entscheidungen der EZB zu kommunizieren, um dann die Mitglieder vom Direktorium und EZB-Rat vor die Alternative zu stellen: Wollen wir den Märkten folgen, nachdem wir die entsprechenden Erwartungen geschaffen haben, oder wollen wir gegen die Märkte arbeiten? Angesichts dieser rabiaten nationalen Interessenpolitik, die von Mario Draghi acht Jahre lang praktiziert wurde und gegebenenfalls nunmehr – wenn auch verbal anders – von Frau Lagarde fortgeführt wird, nehmen sich die Ausführungen von Issing über Transparenz, Kommunikation und Rechenschaftspflicht wie fromme Wünsche aus. Camus lässt grüßenVielleicht liegt es daran, dass er schließlich Docteur Rieux aus Albert Camus` großen Roman “Die Pest” zu Wort kommen lässt, jenen tapferen Arzt, der sich im Ergebnis erfolglos dem Kampf gegen die Krankheit stellt … und malgré tout für sich in Anspruch nimmt, dass allein in der Anstrengung und Haltung schon ein Sinn liege. Dies ist in der Tat ein nobler Gedanke, den Camus an anderer Stelle noch deutlicher formuliert hat: “Der Kampf den Gipfeln entgegen reicht bereits aus, das Herz eines Mannes zu erfüllen.” Testamentarische ZügeDiese Auseinandersetzung von Camus mit der Absurdität ist fast ein Gleichnis mit jenen integren und kompetenten deutschen Notenbankern, die sich redlich bemüht haben, die erfolgreichen Konzepte deutscher Stabilitätspolitik nach Europa zu importieren. Aber momentan sind sie weit von den Gipfeln entfernt und die Politisierung der EZB durch Scharlatane macht große Fortschritte. Was – fragt sich der Leser nach der Lektüre von Issings fast schon testamentarischer Niederschrift – muss noch passieren, damit ein Feldmarschall der Geldpolitik endlich die politischen Konsequenzen aus der dramatischen Gefahrenlage zieht? *) Markus C. Kerber ist Jurist und seit 2006 außerplanmäßiger Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin.