10 JAHRE NACH DEM LEHMAN-KOLLAPS

Helden im Zwielicht

Die Zentralbanker haben einen Kollaps des Finanzsystems verhindert - Aber sie müssen Lehren ziehen

Helden im Zwielicht

Die wichtigsten Zentralbanken haben auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise einen Zusammenbruch des Systems verhindert. Sie tragen aber mindestens eine Mitschuld, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Daraus müssen sie die richtigen Lehren ziehen – auch aktuell. Sonst wiederholt sich Geschichte.Von Mark Schrörs, FrankfurtFür IWF-Chefin Christine Lagarde sind die Zentralbanker die “Helden der Krise”. Sie meint damit das entschiedene Handeln der Währungshüter auf dem Höhepunkt der Weltfinanz- und der Euro-Krise. Mit beispiellosen Liquiditätshilfen, neuen Devisen-Swapgeschäften, radikalen Zinssenkungen und letztlich dem breit angelegten Aufkauf von vor allem Staatsanleihen (Quantitative Easing, QE) haben sich diese gegen die Krise und die Folgen gestemmt. Mitschuld an ExzessenTatsächlich haben die wichtigsten Zentralbanken 2008 und 2009 einen Kollaps des Finanzsystems verhindert und eine wirtschaftliche Depression wie in den 1930er Jahren abgewendet. Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Ob sie hernach mit der jahrelangen Politik des immer billigeren Geldes mehr Nutzen als Schaden gestiftet haben, ist schon fraglich – für ein finales Urteil braucht es schlicht mehr Zeit und Abstand. Zweifel sind aber angebracht. Keinen Zweifel gibt es indes daran, dass Mini- und Nullzinsen sowie aufgeblähte Notenbankbilanzen keine “neue Normalität” sein sollten.In der Gesamtschau drängt sich aber vor allem auch eine Frage auf, die Lagardes Bild von den “Helden” ausblendet: Welche Schuld haben die Zentralbanken selbst an der Finanzkrise gehabt? Und eng damit verbunden: Welche Lehren ziehen die Notenbanker daraus? Letztlich schwebt über allem die große Frage: Laufen die Währungshüter Gefahr, ihre Fehler zu wiederholen – womöglich sogar jetzt gerade?Natürlich lässt sich über die genauen Ursachen der Krise trefflich streiten. Aber selbst Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), räumt ein, dass es insbesondere die Kombination aus Deregulierung des Finanzsektors und einer expansiven Geldpolitik gewesen ist, die den Boden bereit hatte, auf dem sich dann die Finanzkrise entwickelte. Der Geldpolitiker Draghi würde den größeren Teil der Schuld vermutlich der Deregulierung zuschieben. Tatsächlich aber kommt den Zentralbanken eine, wenn nicht gar die, Hauptverantwortung zu.In den Jahren vor der Finanzkrise war es insbesondere die US-Notenbank Fed, die zu lange an einer zu lockeren Geldpolitik festhielt – getrieben von einer überzogenen Angst vor einer deflationären Entwicklung. Zwischen 2004 und 2007 lag das jährliche Kreditwachstum an den privaten Sektor in den USA im Schnitt bei 9,5 % – pro Jahr. So kam es zu den schweren, kreditfinanzierten Exzessen am US-Immobilienmarkt – die letztlich der Ausgangspunkt der Finanzkrise waren.Dass die Fed nicht anders reagierte, hatte aber auch mit der damals vorherrschenden “Greenspan-Doktrin” zu tun: Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan hatte argumentiert, Notenbanken seien nicht in der Lage zu beurteilen, wann es sich bei bestimmten Marktentwicklungen um Übertreibungen handle. Zudem hätten sie nicht die richtigen Instrumente, um gegenzusteuern. Der Leitzins treffe stets die Wirtschaft als Ganzes. Sein Fazit: Die Zentralbanken sollten nicht versuchen, Preisblasen aktiv anzustechen – sondern bereitstehen, den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, falls eine platzt.Die Weltfinanzkrise aber hat diese Doktrin erschüttert. Die Krise brachte die Weltwirtschaft an den Rande des Abgrunds, bis heute leidet sie daran. “Es ist nicht so leicht, die Scherben am Ende einfach aufzukehren”, wie Stefan Ingves, Chef der schwedischen Zentralbank, einmal im Interview der Börsen-Zeitung gesagt hat (vgl. BZ vom 18.4.2014). Inzwischen gilt als unumstritten, dass Preisstabilität nicht ausreicht, um auch Finanzstabilität zu sichern, und dass ein Mangel an Finanzstabilität enorme negative Folgen für die Preisstabilität haben kann. Welche konkreten Konsequenzen aus all dem zu ziehen sind, darüber gehen die Meinung in der monetären Welt aber weit auseinander.Ganz praktisch geht es um die Frage, ob die Zentralbanken neben dem Preisstabilitäts- auch ein Finanzstabilitätsmandat erhalten und sich im Zweifelsfall etwa mit Zinserhöhungen gegen den Aufbau von Finanzexzessen stemmen sollten, auch wenn der Inflationsausblick nicht für steigende Zinsen spricht – das sogenannte “lean against the wind”. Ex-US-Notenbanker Jeremy Stein prägte 2013, damals noch in Diensten der Fed, den Satz, dass nur die Leitzinsen alle Ecken des Finanzsystems erreichten (“get in all the cracks”). Die große Mehrheit der Zentralbanker aber hält dagegen: Die Leitzinsen seien ein zu grobes Instrument, argumentieren sie. Zudem bestehe die Gefahr von Interessenkonflikten und einer Überforderung der Geldpolitik.Die Zentralbank der Zentralbanken BIZ plädiert seit langem dafür, dass sich die Notenbanker nicht nur auf den Konjunkturzyklus mit Wachstum und Inflation fokussieren sollten, sondern mehr auf den längerfristigen Finanzzyklus. Die negativen Folgen der Finanzzyklen seien viel schädlicher als normale Rezessionen. Weil ein explizites Mandat auf so viel Ablehnung stößt, plädiert die BIZ als Mittelweg dafür, dass die Zentralbanken bei der Inflationsbetrachtung zumindest längerfristige Zeithorizonte in den Blick nehmen sollten – um so auch die Finanzzyklen berücksichtigen zu können.Die Notenbanker ihrerseits betonen zwar quasi unisono, dass Niedrigzinsen den Aufbau finanzieller Ungleichgewichte fördern. Bei ihren Entscheidungen dominieren aber bis heute makroökonomische Erwägungen. Die Eindämmung von Finanzrisiken wälzen sie auf die sogenannte makroprudenzielle Aufsicht ab. Das aber greift zu kurz: Bei Übertreibungen an den Märkten sollte sicher zuvorderst die neue Systemaufsicht agieren. Sie ist aber kein Allheilmittel. Die Geldpolitik darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Neue DeregulierungswelleDas gilt auch aktuell: Die US-Notenbank hat zwar beachtliche Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung erzielt, doch die US-Geldpolitik ist weiter expansiv. Weltweit ist die Geldpolitik sogar immer noch extrem locker – und das nun schon für eine so lange Zeit wie nie. Das wird zunehmend zum Risiko für die Finanzstabilität. Die Geldschwemme hat in einigen Bereichen zu beunruhigenden Auswüchsen geführt: etwa bei Unternehmensanleihen minderer Qualität, auf einigen europäischen Immobilienmärkten – oder auch bei Staatsanleihen. Parallel steigen zudem die gesamtwirtschaftlichen Risiken.Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Zentralbanken den Kurs der allmählichen, wenngleich vorsichtigen Normalisierung auch halten, wenn der Weg einmal etwas holpriger wird. Das gilt umso mehr, als sich zehn Jahre nach Lehman eine neue Finanzderegulierungswelle breit zu machen scheint – in den USA, aber auch in Europa. Sonst droht sich Geschichte zu wiederholen.Die Weltfinanzkrise hat eindrucksvoll belegt, welche zentrale Rolle die Zentralbanken im Notfall bei der Stabilisierung des Finanzsystems spielen. Im Zweifelsfall sind nur sie ob ihrer Schlagkraft in der Lage, Panik im System zu stoppen. Sie haben aber eben auch eine besondere Verantwortung, dass es erst gar nicht so schlimm kommt. Sonst werden sie am Ende schnell zu tragischen Helden.