Hessen will Büchse der Pandora mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz öffnen
Hessen will Büchse der Pandora öffnen
Land kauft zusätzliche Daten aus Steuersünder-Leak auf – Finanzamt Kassel zu KI-Schwerpunktbehörde ausgebaut
Nach „Panama“ und „Paradise“ sorgten 2021 die „Pandora Papers“ für Aufsehen. Unbekannte hatten auflagenstarken europäischen Medien gigantische Datensätze zu mutmaßlichen Steuersündern zugespielt – darunter auch Prominente. Künstliche Intelligenz (KI) soll eine systematische Auswertung ermöglichen.
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Nachdem es sich bei der strafrechtlichen Aufklärung des Cum-ex-Komplexes vergleichsweise viel Zeit gelassen hat, will das Land Hessen mit der Auswertung der „Pandora Papers“ ein Signal im weltweiten Kampf gegen Steuerkriminalität setzen. Wie Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) am Montag in einer eigens einberufenen Pressekonferenz bekannt gab, haben hessische Steuerbehörden begonnen, den riesigen Datenschatz zu heben, den Unbekannte im Oktober 2021 in Auszügen unter dem Stichwort Pandora Papers großen europäischen Medienhäusern zugespielt haben.
In den Datensätzen der Pandora Papers finden sich die Namen von Vorständen, Politikern, Spitzensportlern und anderen Prominenten aus dem In- und Ausland, die angeblich auf zweifelhafte Weise Gelder am Fiskus vorbeigeschleust haben sollen. Die Auswertung erfolgt in Zusammenarbeit mit der Ermittlungsgruppe „OLET“ und der Forschungsstelle Künstliche Intelligenz (FSKI), die auf Betreiben des Ministeriums beim Finanzamt Kassel eingerichtet worden ist. Erste „prüfungswürdige Fälle“ seien bereits erkennbar, heißt es.
Die Behörde soll nach dem Willen Boddenbergs als internationaler Dienstleister im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit fungieren. Daher erfolge die Auswertung nicht nur im Auftrag der hessischen Finanzbehörden: „Anfragen aus Frankfurt, Amsterdam oder Berlin werden gleichermaßen beantwortet.“
Mehr als 10 Millionen Dokumente
Boddenberg zufolge hat das Land Hessen einen sechsstelligen Betrag in die Hand genommen, um einen Datensatz zu erhalten, der noch über die den Journalisten zugespielte Menge hinausgeht. Nach Angaben des hessischen Finanzministeriums handelt es sich um 10,4 Millionen Dokumente. Darin seien die Geschäfte von 14 sogenannten Offshore-Providern dokumentiert, Briefkastenfirmen und Treuhandgesellschaften, die ihren Sitz in der Regel in entlegenen Steueroasen wie den Seychellen oder den Cayman Islands haben.
Die schiere Datenmenge ist beeindruckend. Geliefert wurden dem Finanzministerium zufolge insgesamt 3,8 Terabyte Daten. „Sollte jedes der Dokumente nur aus einem Blatt Papier bestehen und würde man diese übereinanderstapeln, dann wäre die höchste Erhebung in Deutschland nicht mehr die Zugspitze, sondern mit rund vier Kilometern Höhe der Pandora-Papers-Turm“, versuchte Boddenberg die unvorstellbar große Zahl zu veranschaulichen.
Unstrukturierte Datensätze
Die Auswertung der Papiere, auf deren Basis Steuerermittlungsverfahren eingeleitet werden könnten, stellt die Behörden jedoch nicht nur quantitativ vor eine Herausforderung, sondern auch, weil es sich um unstrukturierte Datensätze handelt. Die Aufarbeitung könnte nach Einschätzung des Ministers Jahrhunderte in Anspruch nehmen oder Heerscharen von Beamten beschäftigen.
Um es nicht so weit kommen zu lassen, setzt das Land Hessen auf künstliche
Intelligenz (KI). Der Einsatz der neuen Technologie ermöglicht eine deutlich schnellere Verarbeitung großer Datensätze. Um die Daten nicht auf den
Servern großer US-Konzerne zu speichern, die anderen Jurisdiktionen unterliegen, hat das Land in eigene KI-Server investiert, die auf europäischem Boden stehen.
Welche Kosten dafür anfielen, konnte ein Sprecher des Ministeriums zunächst ebenso wenig beantworten wie die Frage nach den Personalkosten. Für die FSKI seien 30 KI-Spezialisten aus den Fächern Mathematik, Informatik und Computerlinguistik eingestellt worden, deren Gehälter deutlich über den Tarifgehältern der Finanzbehörden lägen, hieß es dazu lediglich.