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High Speed 2 und andere "nationale Katastrophen"

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 2.10.2013 Was den Deutschen ihr Stuttgart 21, ist den Briten ihr Superschnellzug High Speed 2 (HS2). Auch das Debakel um den Hauptstadtflughafen BER findet auf der Insel ein Pendant in der Debatte um einen...

High Speed 2 und andere "nationale Katastrophen"

Von Andreas Hippin, LondonWas den Deutschen ihr Stuttgart 21, ist den Briten ihr Superschnellzug High Speed 2 (HS2). Auch das Debakel um den Hauptstadtflughafen BER findet auf der Insel ein Pendant in der Debatte um einen Londoner Großflughafen, der die fünf Airports der Metropole entlasten, wenn nicht ersetzen soll. Würde HS2 nicht gebaut, wäre das eine “nationale Katastrophe”, sagte Transportminister Patrick McLoughlin dem “Observer”. Premierminister David Cameron, Schatzkanzler George Osborne und er stünden weiterhin voll und ganz zu dem umstrittenen Bauvorhaben. Dieses Commitment werde auch im Wahlprogramm der Konservativen 2015 enthalten sein.Allerdings steht die Partei nicht geschlossen hinter ihrer Führung. Bislang haben sich 21 Hinterbänkler gefunden, die das Projekt ablehnen. Auch bei Labour ist die Unterstützung nicht mehr ganz so groß. Es gebe “keinen Blankoscheck” für HS2, sagte Ed Balls, der im Falle eines Wahlsieges Osborne gerne ablösen würde. Man müsse sich gut überlegen, ob das Geld nicht besser für Sozialwohnungen, Schulen oder Krankenhäuser ausgegeben werden sollte. Dabei haben die Tories das Projekt von Labour geerbt. Die populistische Unabhängigkeitspartei Ukip macht offen Front gegen die Bahnlinie. Der Industrieverband CBI forderte die Regierung auf, HS2 auf den Prüfstand zu stellen. Das politisch unabhängige, unternehmensnahe Institute of Directors nannte das Vorhaben aberwitzig.Die neue Hochgeschwindigkeitsbahnlinie soll von 2026 an London und Birmingham miteinander verbinden und die Fahrzeit zwischen den beiden Großstädten um 30 auf 49 Minuten verkürzen. Sieben Jahre später sollen auch Manchester und Leeds angeschlossen werden. Wie bei öffentlichen Großprojekten weltweit üblich, entgleisten bei HS2 die Kosten. Bis zum Sommer hieß es noch, das Projekt werde mit 32,7 Mrd. Pfund zu Buche schlagen. Aber im Juni erhöhte die Regierung ihre Kostenschätzung auf 42,6 Mrd. Pfund. Nimmt man die für die Anschaffung der Züge angesetzten 7,5 Mrd. hinzu, ist die 50-Mrd.-Schwelle überschritten. Auch von 80 Mrd. Pfund war in der Debatte schon die Rede. Ohne die Unterstützung aller großen Parteien wäre es schwierig für die Regierung, für HS2 erforderliche Gesetze durchs Parlament zu bekommen.”Ich finde es ziemlich erstaunlich, dass ich von hier aus Hochgeschwindigkeitszüge in die meisten europäischen Städte nehmen kann”, sagte McLoughlin bei der Einweihung des neuen Bahnhofsvorplatzes in King’s Cross. “Aber ich kann weder von diesem Bahnhof noch von dem anderen in dieser Straße (Euston) in irgendeine britische Stadt mit einem Hochgeschwindigkeitszug fahren.” Eine von der Regierung beauftragte Studie des Wirtschaftsprüfers KPMG kommt zu dem Ergebnis, dass durch den verbesserten Schienenanschluss des Nordens 250 000 Stellen geschaffen werden könnten. Vor allem die Midlands, der Nordwesten und der Nordosten sollten profitieren. HS2 würde jährlich 15 Mrd. Pfund zum Bruttoinlandsprodukt beisteuern. Die daraus resultierenden Steuereinnahmen setzten die Autoren der Untersuchung mit 5 Mrd. Pfund an. Demnach flössen dem Staat binnen 30 Jahren 75 Mrd. Pfund zu – mehr als genug, damit sich HS2 für den Steuerzahler rechnet.Der von Margaret Hodge geführte Haushaltsausschuss bezweifelt dagegen, dass das Projekt den benachteiligten Regionen zugutekommt. Stattdessen könnte HS2 dazu beitragen, dass noch mehr Aktivitäten nach London verlagert werden. Die Schätzungen des Transportministeriums beruhten auf “wenig belastbaren Zahlen, veralteten Daten und Annahmen, die das wahre Leben nicht widerspiegeln”, hieß es. So habe man bei der Darstellung der Vorteile unberücksichtigt gelassen, dass Geschäftsreisende heutzutage mit Laptops im Zug arbeiten könnten.Wie heiß der Sommer in den Büros von HS2 gewesen sein muss, zeigt sich daran, dass Chairman Douglas Oakervee zum Jahreswechsel von David Higgins, bislang Chief Executive des Netzbetreibers Network Rail, abgelöst werden soll. Der Australier Higgins will nun die Kosten in den Griff bekommen. Noch keine BauruineImmerhin hat die Debatte um den neuen Hauptstadtflughafen noch keine Bauruine hervorgebracht. Das Vorhaben des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson, für 65 Mrd. Pfund einen Großflughafen in die Themsemündung zu setzen, hat wenig Freunde gefunden. Stattdessen wird wohl eine dritte Startbahn in Heathrow gebaut, allen daraus resultierenden zusätzlichen Belastungen für den Schienen- und Straßenverkehr in der Metropolregion zum Trotz. Die staatliche Davies Commission wird ihre Empfehlung, wie die Flughafenkapazitäten erweitert werden sollen, allerdings erst nach den Wahlen 2015 abgeben. Der große Unterschied zu Deutschland: HS2 und Flughafenneubau sind noch ohne großen Aufwand zu stoppen.