EUROPA HAT DIE WAHL - EUROPAWAHL 2019

Hoffnung auf Wohlstand

Union führt Wahlkampf ohne Vorzeigeeuropäerin Merkel - Noch ein weiter Weg zur Einheit

Hoffnung auf Wohlstand

Wie sehen Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier Europa – und wie die Briten? Welche Hoffnungen und Ängste verbinden sie mit Europa – und mit der Europawahl in drei Wochen? Und wie läuft der Wahlkampf in den größten EU-Mitgliedsländern ab? Die Korrespondenten der Börsen-Zeitung geben einen Überblick.Von Angela Wefers, BerlinDer Europawahlkampf geht auch in Deutschland in die heiße Phase. Großflächige Plakate der Parteien säumen die breiten Einfahrtsstraßen in der Hauptstadt. Die SPD wirbt mit der deutschen Spitzenkandidatin und – noch – amtierenden Bundesjustizministerin Katarina Barley für den Zusammenhalt in Europa. Die Grünen plakatieren ihre Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie die europäischen Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold. Für die FDP ist das Europa-Gesicht Nicola Beer, Spitzenkandidatin und bis vor kurzem Generalsekretärin der Partei. Nur bei der Union läuft der Wahlkampf ungewöhnlich. Eine der in Europa bekanntesten Personen, die für die EU einsteht, bleibt unsichtbar: Bundeskanzlerin Angela Merkel. CDU und CSU treten im Wahlkampf 2019 gemeinsamen auf, kommen aber fast ohne Gesichter aus. Bewusst haben sie auf die Plakatierung von Merkel und ihrer Nachfolgerin als CDU-Parteivorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, verzichtet. Die verbale Hauptrolle auf den Plakaten spielen “Frieden, Wohlstand und Sicherheit”. Einzig das Konterfei von CSU-Politiker Manfred Weber, der EU-Kommissionspräsident werden will, ziert gelegentlich die Wahlwerbung der Union. Dabei hätte Weber hierzulande durchaus Nachholbedarf. Einer Umfrage zufolge kennen ihn nur rund ein Viertel der Wähler, während Barley immerhin auf zwei Fünftel kommt. Der ungewöhnliche Wahlkampf der Union ist indessen kein mangelndes Bekenntnis zu Europa, sondern vielmehr dem Führungswechsel an der Parteispitze geschuldet. Merkel zieht sich bewusst zurück, Kramp-Karrenbauer überlässt (noch) Weber das Feld.Kaum eine Europawahl ist hierzulande bislang so bedeutsam eingeschätzt worden wie diese. Alle im Bundestag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der AfD – sind vollends überzeugte Europäer, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung. SPD und Linke stehen etwa für mehr Solidarität, die Grünen dringen auf der internationalen Plattform auf mehr Klimaschutz, die Union und FDP sehen in Europa den Garant für Wohlstand und Frieden. Alle gemeinsam treibt die Sorge vor stärkerem Einfluss rechtsnationaler Parteien um, die das Rad zurückdrehen könnten. Die Gewissheit, dass es mit Europa immer nur voran- und nie zurückgeht, ist seit der europäischen Staatsschuldenkrise, der Flüchtlingswelle 2015, Rechtsstaatlichkeitsproblemen in östlichen Mitgliedsländern und dem erklärten Austritt Großbritanniens aus der Union erschüttert. Viele Bürger blicken skeptisch auf die Administration in Brüssel, die aus ihrer Sicht unnötig viel harmonisiert, und sehnen sich – getreu der Subsidiarität – danach, ihre Dinge vor Ort selbst besser regeln zu können. Starke Rolle in der Welt Zugleich hat sich die politische Anforderung an Europa verschoben. Die Entwicklung der vergangenen Jahre war eine Belastungsprobe auch für die nationalen Regierungen. Wo es früher darum ging, die Mitgliedstaaten in ihrer Vielfalt und mit oftmals historisch gewachsener Animosität bis Feindschaft zusammenzuhalten, muss sich Europa heute gegen den Rest der Welt positionieren: beim Schutz der Außengrenzen für eine kontrollierte Zuwanderung, in der Verteidigungspolitik oder in internationalen Handelskonflikten.Dem Mitgliedstaat mit der größten Wirtschaftskraft in Europa, Deutschland, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Auch das deutsch-französische Gespann ist gefordert. Das Duo gilt als Motor, um Entwicklungen in Europa anzutreiben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wartete lang auf eine Antwort aus Berlin zu seinen Reformvorschlägen für die Union. Sie kam spät und fiel moderat aus: von der Neuen, von Kramp-Karrenbauer. Dies mag nicht nur mit der Neujustierung in der CDU zu tun haben. Deutschland und Frankreich wandeln in grundsätzlichen Fragen etwa zwischen Wettbewerb und Staatsinterventionismus immer noch auf unterschiedlichen Pfaden. Auch dort sind Grenzen zu überwinden.