EUROPA HAT DIE WAHL

Im Schatten der Innenpolitik

Franzosen ohne Interesse an der Europawahl

Im Schatten der Innenpolitik

Von Gesche Wüpper, ParisFrankreich steuert bei der Europawahl Ende Mai gleich auf mehrere Rekorde zu. Auf der einen Seite gibt es so viele Kandidaten wie nie zuvor. Auf der anderen Seite könnte die Wahlbeteiligung gleichzeitig jedoch so niedrig wie nie zuvor ausfallen. Denn die Europawahl steht in Frankreich traditionell im Schatten der Innenpolitik. Zudem nutzen viele Franzosen den Mai mit seinen zahlreichen Feiertagen gerne, um in Urlaub zu fahren. Experten schätzen deshalb, dass die Wahlbeteiligung diesmal auf 38 % bis 42 % sinken wird. So viele Listen wie nie zuvorUmfragen zufolge sind die Anhänger der Regierungspartei La République en Marche (LREM) am stärksten motiviert, an die Urnen zu gehen, knapp gefolgt von den Anhängern der linkspopulistischen Bewegung La France Insoumise und denen der von Front National in Rassemblement National (RN) umbenannten rechtsradikalen Partei Marine Le Pens. Letztere hatte bei der Europawahl 2014 mit 24,85 % der Stimmen deutlich vor den beiden großen bürgerlichen Parteien gelegen, den Sozialisten und den Republikanern.Wie bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2017 zeichnet sich in Frankreich auch bei der Europawahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Präsident Emmanuel Macrons Partei LREM und dem RN ab. Beide können je nach Umfragen auf 21 % bis 24 % der Stimmen hoffen.Neben LREM, RN, La France Insoumise, den Republikanern, den Sozialisten und den Grünen treten in Frankreich 27 Listen bei der Europawahl an, darunter drei der Protestbewegung der Gelbwesten. Angesichts der ohnehin äußerst geringen Wahlbeteiligung wächst damit die Gefahr der Zersplitterung. Zum ersten Mal seit 1999 gibt es diesmal wieder nur einen einzigen Wahlkreis für Frankreich, nachdem es zuletzt 16 gab. Großes Risiko für MacronFür Präsident Macron steht bei der Europawahl viel auf dem Spiel. Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt sind sie für ihn die erste Testwahl. Nicht nur auf innenpolitischer Ebene ist es deshalb für Macron wichtig, dass die LREM-Spitzenkandidatin, seine frühere Europaministerin Nathalie Loiseau, die meisten Stimmen erhält. Sollte dies nicht der Fall sein, dürfte Macron auch bei den europäischen Partnern Frankreichs weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.Wie so oft in der Vergangenheit könnten etliche französische Wähler jedoch versucht sein, ihrem Staatsoberhaupt bei der Europawahl einen Denkzettel zu verpassen, also nicht für die Regierungspartei zu stimmen. Angesichts der schwachen Zustimmungswerte für Macron und der seit Mitte November anhaltenden Proteste der “Gilets Jaunes” besteht ein reales Risiko, dass französische Wähler Macron abstrafen.Seinen Reformkurs dürfte Macron zwar weiter fortsetzen. Je nach Wahlausgang könnte er jedoch gezwungen sein, sich bei den für die nächsten Monate geplanten Reformen des Rentensystems, der Arbeitslosenversicherung und des öffentlichen Dienstes mehr mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern abzustimmen.