FRANKREICH VOR DEM START DER FUSSBALL-EM

Im Schatten von Streiks und Terror

Die großen wirtschaftlichen Hoffnungen Frankreichs in die Fußball-EM könnten enttäuscht werden

Im Schatten von Streiks und Terror

Frankreich hat große Hoffnungen in die Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft gesetzt. Doch die erwarteten positiven Auswirkungen auf die schwächelnde Wirtschaft können durch die Terrorgefahr und Streiks geringer ausfallen als erhofft. Zumindest in den Stadien und bei Hotels ist bisher kein EM-Effekt zu spüren.wü Paris – Für Frankreich steht bei der Ausrichtung der an diesem Freitag beginnenden Fußball-Europameisterschaft (EM) viel auf dem Spiel. Zum einen erhofft sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone positive Impulse für ihren schwachen Aufschwung. Die wären angesichts der hohen Arbeitslosenquote von zuletzt 9,9 % (ohne die Übersee-Départements) und der horrenden Schuldenquote, die Ende letzten Jahres 96,1 % der Wirtschaftsleistung entsprach, dringend nötig. Zum anderen wünscht sich Frankreich, mit Hilfe des von den Zuschauerzahlen her drittgrößten Sportereignisses weltweit endlich das Trauma der Attentate von 2015 vergessen und das Olympische Komitee von der Bewerbung von Paris für die Olympischen Spiele 2024 überzeugen zu können.Das Zentrum für Sportrechte und -wirtschaft in Limoges (CDES) hat errechnet, dass das Land auf einen wirtschaftlichen Nutzen von 1,27 Mrd. Euro und die Schaffung von mehr als 26 000 Arbeitsplätzen durch die EM hoffen kann. Es rechnet damit, dass 2,4 Millionen Zuschauer in die Stadien der zehn Austragungsorte kommen, davon 38 % ausländische Fans. Allerdings berücksichtigt die von CDES bereits Ende 2014 auf Basis von Daten des europäischen Fußballverbands Uefa veröffentlichte Studie nicht die Auswirkungen der Terroranschläge von 2015 und die Streiks, die Frankreich seit mehreren Wochen lähmen.Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) berief sich in einem im Mai veröffentlichten Bericht zwar auf die CDES-Studie, erinnerte jedoch auch daran, dass es eine Tendenz bei Sport-Großereignissen gebe, die Zahl der erwarteten Besucher und Touristen zu optimistisch zu schätzen. Diesmal sei die Schätzung noch schwieriger, meint der Ökonom und Sportspezialist Bastien Drut. Bei jedem Fußball-Großereignis gebe es einen Substitutionseffekt, da Touristen kämen, um dem Ereignis beizuwohnen, andere dagegen wegen des Ereignisses entschieden, nicht an diesen Ort zu reisen, obwohl sie es sonst getan hätten. Hohe UngewissheitWegen der Attentate vom November sei der Substitutionseffekt jetzt extrem schwer einzuschätzen, sagt er. “Es ist möglich, dass noch mehr Touristen entscheiden, nicht nach Paris zu kommen – etwa weil sie Angst haben, dass Terroristen die Stadt als Zielscheibe nutzen könnten.” In einer Studie hat er zusammen mit Stefan Szymanski von der University of Michigan nachgewiesen, dass in einem Jahr vor einem internationalen Fußballturnier die Zuschauerzahlen der lokalen Spiele steigen. Bisher sei bei den französischen Vereinen jedoch kein EM-Effekt zu spüren, sagt er. So hätten die Zuschauerzahlen der ersten Liga in der gerade beendeten Saison im Schnitt um etwas mehr als 6 % abgenommen.Ähnlich sieht es in der Tourismusindustrie aus. Waren die Hotels der französischen Austragungsorte bereits drei Monate vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 ausgebucht, so lag ihre Reservierungsrate wenige Tage vor Beginn der EM im Schnitt bei gerade mal 60 %. “In Städten wie Lyon, Bordeaux und Marseille übersteigt die Auslastungsrate bei einigen Spielen nicht 50 %, 60 % wenn man Halbfinalspiele wie in Lyon hat”, sagt Laurent Duc, der Vorsitzende der Vereinigung der Hotelindustrie UMHI. Für einige Spiele betrage die Auslastungsrate der Hotels sogar nur 30 %.Die Hotelindustrie macht für die schlechte Auslastungsquote neben der Terrorgefahr, den Streiks und den Überschwemmungen auch die verstärkte Konkurrenz durch Online-Vermittler von Privatunterkünften wie Airbnb und Abritel-Homeaway verantwortlich. Denn die vermelden steigende Buchungszahlen für die EM. Ihr Erfolg liegt vielleicht auch an den hohen Preisen der Hotels. Denn laut dem Buchungsportal HRS sind die Hoteltarife in den EM-Städten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 21 % gestiegen, auf 131 Euro pro Tag. In Marseille haben die Preise sogar um 76 % zugelegt. Im Schnitt müssen Fußballfans dort 165,80 Euro pro Zimmer zahlen, fast ebenso viel wie in Paris, wo der durchschnittliche Hoteltarif 168 Euro beträgt.Doch auch die Auswirkungen der Attentate vom November dürften ein wichtiger Grund für die niedrigen Buchungszahlen der Hotels sein. In Paris sind sie noch immer deutlich zu spüren. So sind die Reservierungen für den Sommer nach Angaben des Tourismuskomitees des Großraums Paris im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um bis zu 50 % eingebrochen. Es kämen 15 bis 20 % weniger ausländische Gäste als vor den Attentaten im November, berichtet das Kaufhaus Le Printemps. Touristen machen normalerweise 40 % seines Umsatzes aus.Ökonom Diego Iscaro vom Wirtschaftsforschungsinstitut IHS rechnet nun nur noch mit kurzen positiven Auswirkungen der EM auf die französische Wirtschaft. Dieser dürfte durch die Blockaden und Streiks der letzten Wochen limitiert werden, urteilt er. “Frankreich muss mit der Ausrichtung dieses Ereignisses Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen meistern”, meint auch Carole Gomez vom Thinktank IRIS. Auf der einen Seite stehe das Land unter sozialem Druck, was sich bei Streiks, Demonstrationen und politischen Protesten im Zusammenhang mit der geplanten Reform des Arbeitsrechts zeige. Zum anderen habe der Staat mit den Überschwemmungen eine unerwartete Situation meistern müssen. “Schlussendlich bildet die Herausforderung der Sicherheit unzweifelhaft die Priorität der Regierung und der Organisatoren”, sagt sie.