"Impfstoff-Euphorie" mit Vorbehalt

Konjunkturzuversicht hievt Sentix-Barometer über Nulllinie - Ökonomen senken Prognosen für 2021

"Impfstoff-Euphorie" mit Vorbehalt

Die anhaltende Corona-Pandemie und die in Deutschland sowie in vielen anderen Ländern Europas verschärften wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen haben den Wachstumsausblick für 2021 deutlich getrübt. Börsianer hingegen blicken zu Jahresbeginn so zuversichtlich auf die Konjunktur wie schon lange nicht mehr. ba Frankfurt – Börsianer blicken trotz des in Deutschland gestern erneut verschärften Lockdowns und wieder aufgeflammter Coronainfektionen in anderen Ländern der Welt so zuversichtlich auf die konjunkturelle Entwicklung im Euroraum wie seit fast einem Jahr nicht mehr. Für Deutschland zeigen sie sich gar überdurchschnittlich zuversichtlich. Im Gegensatz zu den Finanzmarktexperten sind Ökonomen allerdings zunehmend skeptisch und passen ihre Prognosen sukzessive an den Verlauf der Corona-Pandemie an, wie auch das aktuelle Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung zeigt.Eine “Impfstoff-Euphorie” macht Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner als Ursache für den um 4,0 auf 1,3 Punkte gestiegenen Gesamtindex für die Euro-Konjunktur aus. Dass das Barometer, das sehr früh im Monat veröffentlicht wird und als Fingerzeig für weitere Stimmungsbarometer wie etwa die Einkaufsmanagerindizes oder das Ifo-Geschäftsklima gilt, erstmals seit Februar 2020 wieder über die Nulllinie geklettert ist, liegt insbesondere am kräftigen Anstieg der Erwartungen. Ein ähnliches Bild zeigt sich für Deutschland – hier ist der Gesamtindex um 2,3 auf 9,2 Zähler und damit sogar den höchsten Stand seit November 2018 gestiegen. Erwartungsvolle AnlegerHübner warnte, dass die Anleger scheinbar die Gefahr unterschätzten, “dass die Ökonomien stärker beschädigt sind, als es die Daten zu spiegeln scheinen”. Denn die Lagebeurteilung zeige “schon seit Monaten einen deutlich flacheren Verlauf als die stürmischen Erwartungen”: Im Januar ist die Lagekomponente für Euroland um 2,8 auf – 26,5 Punkte und damit den höchsten Stand seit März 2020 gestiegen, die Erwartungskomponente allerdings notiert mit 33,5 nach 29,3 Zählern im Dezember nun so hoch wie nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2003. Die überschießenden Erwartungen erklärt Hübner mit der Hoffnung der Anleger auf “eine schnelle Umsetzung der Impfstrategie und damit ein endgültiges Ende der wirtschaftlichen und persönlichen Freiheitseinschränkungen”, nachdem nun weitere Impfstoffe zugelassen seien. Aber auch für Deutschland seien die Erwartungen – die ebenfalls auf ein Allzeithoch geklettert sind – “zu euphorisch und zeigen wenig Respekt vor den negativen Wirkungen der Lockdown-Politik”, sagte Hübner.Das aktuelle Konjunkturtableau zeichnet ein etwas weniger zuversichtliches Bild. Der Wachstumsausblick für das eben begonnene Jahr wurde deutlich reduziert, wie ZEW-Experte Michael Schröder zur Medianprognose, die das Mannheimer ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung für das Konjunkturtableau ermittelt, erklärt. Das für Deutschland eingestellte Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) sehe mit 4,0 % zwar “noch beachtlich hoch aus”, allerdings lagen die Prognosen im November und Dezember des letzten Jahres noch bei 4,6 % und 4,5 % (siehe Tabelle). Der BIP-Rückgang von 2020 werde also erst im Laufe des Jahres 2022 vollständig ausgeglichen werden können. Über die Entwicklung des BIP von 2020 berichtet das Statistische Bundesamt erstmals diesen Donnerstag, Experten erwarten ein Minus von um die 5 %. Ein ähnliches Bild ergibt sich Schröder zufolge für das Eurogebiet. Hier lag die Prognose im November und Dezember noch bei jeweils+ 5,4 %, nun sind es + 4,8 %. Der Aufholprozess werde wohl bis Ende 2022 dauern, während das deutsche BIP Ende 2022 schon wieder etwa 1,4 % oberhalb des BIP-Niveaus von 2019 liege, erwartet Schröder.Auch die Einschätzungen für den Jobmarkt liegen weit auseinander: Für Deutschland liegt die Medianprognose der Arbeitslosenquote für 2021 mit 6,0 % nur knapp oberhalb der für November gemessenen 5,9 %. 2022 sollen es durchschnittlich 5,5 % sein. Die für den Euroraum prognostizierten Arbeitslosenquoten von 9,2 % (2021) und 8,8 % (2022) liegen hingegen weiter über dem zuletzt veröffentlichten Wert von 8,3 % im November 2020.