Indien vor der Ausweitung des Defizitziels

Entwurf des Finanzministers kalkuliert mit 3,3 Prozent - Mehr Investitionen in Infrastruktur - Börse steigt

Indien vor der Ausweitung des Defizitziels

Von Ernst Herb, HongkongIndien war bis vor kurzem noch die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft. Trotz jüngster Turbulenzen ist das Land besser als andere Schwellenländer gegen externe Schocks gewappnet. Das gibt der Regierung Freiraum, um den Haushalt weiter zu sanieren. Der indische Finanzminister Arun Jaitley wandelt mit seinem am Mittwoch dem Parlament vorgelegten Haushaltsentwurf auf einem schmalen Grat zwischen einer weiteren Konsolidierung der Staatsfinanzen und wahlopportunistischen Geschenken.Das Haushaltsdefizit soll sich in dem am 1. April beginnenden Finanzjahr 2017/2018 auf 3,3 % belaufen und liegt damit über dem zuvor für denselben Zeitraum angepeilten Minus von 3 %. Anfang November 2016 sind überraschend über 80 % von allem Bargeld aus der Zirkulation gezogen worden. In einem Land, in dem Cash noch King ist, hat das vor allem den Einzelhandel und die einfacheren Schichten hart getroffen. Vor allem mit Bezug auf diese überraschend eingeführte Maßnahme hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Mitte Januar seine Wachstumsprognose für das laufende Finanzjahr von 7,6 % auf 6,6 % gesenkt.Die Regierung will in den zwölf Monaten nach dem 1. April Bauern insgesamt 10 Bill. Rupien (148 Mrd. Dollar) Kredite zukommen lassen. Auch soll in ländlichen Gebieten das Arbeitsbeschaffungsprogramm ausgeweitet werden.Auch die Infrastrukturausgaben werden markant erhöht, und zwar um rund 80 %. Durch den beschleunigten Ausbau der Straßennetzes und der Eisenbahnverbindungen soll der Agrarsektor besser an die städtischen Märkte angebunden werden. Im jährlichen Wirtschaftsgutachten des Finanzministeriums wird darüber hinaus die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens diskutiert. Ein solches könnte das unübersichtliche Geflecht staatlicher Unterstützungsprogrammen ablösen. Auf Teilstaaten angewiesenIn den nächsten Monaten stehen in gleich vier indischen Teilstaaten Parlamentswahlen an, so vor allem am 11. Februar im über 200 Millionen Einwohner zählenden Uttar Pradesh. Die Bharatiya Janata Partei (BJP) des indischen Premierministers Narendra Modi spielte im bevölkerungsreichsten indischen Teilstaat nur eine unbedeutende Rolle. Der längerfristige Erfolg des von der Regierung vorangetriebenen wirtschaftlichen Modernisierungsprogrammes hängt von der Unterstützung der regionalen Kammern ab. Nach Angaben der indischen Regierung wie auch des IWF wäre angesichts des enormen Nachholbedarfs, was Infrastruktur und Privatkonsum betrifft, eine Wachstumsrate von 8 % oder mehr möglich. Nachhaltig ist eine solche Dynamik aber nur, wenn die Regierung gleichzeitig an der Sanierung der Staatsfinanzen arbeitet und die überforderte Infrastruktur ausbaut.Die staatlichen Schulden belaufen sich auf 68 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und sind nach Meinung der Ratingagentur S & P für das derzeitige Rating zu hoch. Finanzminister Jaitley kündigte in seiner Rede auch eine Reform des Steuersystems an. So soll vor allem die Fiskalbasis durch eine größere Einbeziehung des bisherigen informellen Sektors erweitert werden. Davon erhofft er bereits für das kommende Finanzjahr bedeutend höhere Steuereinnahmen. Jaitley geht davon aus, dass die negativen Folgen des Demonetisierungsprogramms gegen Ende des Jahres beseitigt sein werden. Wenn es nach dem von der Regierung vorgelegten Plan geht, soll die Staatsverschuldung in den nächsten sechs Jahren auf 60 % des BIP gesenkt werden.Das Haushaltsdefizit soll bereits im Finanzjahr 2018/19 auf 3 % fallen. Die Reserve Bank of India (RBI), die seit 2015 den Leitzins in sieben aufeinanderfolgenden Schritten auf 6,2 % gesenkt hat, macht eine weitere Lockerung ihrer Geldpolitik von Fortschritten im Kampf gegen die Inflation und der Konsolidierung der Staatsfinanzen abhängig. Das geldpolitische Komitee der RBI berät in seiner für den 8. Februar angesagten regulären Sitzung über den nächsten Zinsentscheid. Besser gewappnetIndien ist mit seinem großen Binnenmarkt und einer nach wie vor relativ kleinen Exportindustrie besser als die meisten anderen Schwellenländer gegen externe Schocks wie etwa den Protektionismus der USA gewappnet. Das ist eine gute Voraussetzung, um das jüngst gesunkene Vertrauen in- und ausländischer Investoren zu gewinnen.Ökonomen des japanischen Finanzhauses Nomura schätzen den Budgetentwurf insgesamt als umsichtig ein. Während Jaitleys fast zweistündiger Ansprache legte der Aktienmarkt in Mumbai rund 1 % zu. Auch der Außenwert der Rupie erstarkte. Besonders hohe Kursgewinne verzeichneten Aktien von Agrochemie-Unternehmen sowie von Zementproduzenten, die von dem im Budget angekündigten ländlichen Entwicklungsprogramm profitieren könnten.