Industrie fordert digitale Souveränität

EU-Ratspräsidentschaft definiert Leitmotiv der europäischen Digitalpolitik

Industrie fordert digitale Souveränität

sp Berlin – Kurz vor dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am nächsten Mittwoch hat der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) in einem Positionspapier seine Forderung erneuert, dass Europa seine “digitale Souveränität in kritischen Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien stärkt”. Sonst drohe dem Kontinent langfristig eine Standortkrise, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführerin Iris Plöger in einer Videokonferenz. In den vergangenen Jahren seien in zentralen Technologiebereichen wichtige Kompetenzen verloren gegangen. Als Beispiele nannte Plöger die Entwicklung und Produktion von Komponenten für Mobilfunknetze der jüngsten Generation (5G) sowie Smartphones einschließlich ihrer Betriebssysteme. Hier lasse Deutschland seine industrielle Stärke ungenutzt. Das Thema beschäftigt die Politik auch auf europäischer Ebene auf breiter Front, wie die Diskussionen über den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei zeigen, der bei Komponenten für 5G-Netze als führend gilt.Konkret fordert der BDI, dass Europa seine Handlungsfähigkeit in besonders kritischen Bereichen stärkt, indem zukunftsweisende Technologien gefördert werden, die notwendigen Kompetenzen aufgebaut werden und “ein ganzheitliches Ökosystem aus Industrieunternehmen, Start-ups, Forschung und einer innovationsoffenen Gesellschaft etabliert wird. Bei der Bundesregierung dürfte der BDI damit offene Türen einrennen. In ihrem Arbeitsprogramm für die EU-Ratspräsidentschaft heißt es unter anderem, dass “digitale Souveränität als Leitmotiv der europäischen Digitalpolitik” etabliert werden soll. Gemeinsam wolle man während der deutschen Ratspräsidentschaft an Antworten auf die Frage arbeiten, “wie wir mit technischen Entwicklungen etwa zu künstlicher Intelligenz oder Quantentechnologien so umgehen, dass wir in einem fairen Wettbewerb unseren Wohlstand steigern, unsere Sicherheit schützen und unsere Werte bewahren”.Nicht jeder ist überzeugt, dass der dehnbare Begriff der digitalen Souveränität dabei helfen wird, diese Antworten zu finden. Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), warnte erst am Mittwoch im Rahmen einer Veranstaltung im Bundeswirtschaftsministerium, “dass es gefährlich ist, von technologischer Souveränität zu sprechen”. Das könne schnell missverstanden werden, sagte der Volkswirt bei der Vorstellung einer Analyse zur Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland. “Wir dürfen darunter nicht eine Einschränkung des Wettbewerbs oder das Anstreben von Selbstversorgung in allen Zukunftssektoren verstehen”, mahnte Felbermayr. Europa und Deutschland seien vielmehr auf technologische Offenheit und einen digitalen europäischen Binnenmarkt angewiesen. Warnung vor ProtektionismusDigitale Souveränität dürfe “auf keinen Fall Protektionismus und fragmentierten Wirtschaftsräumen Vorschub leisten”, heißt es auch beim BDI. “Technologische Souveränität wurde von einigen der wichtigsten Handelspartnern der EU als restriktiv und protektionistisch interpretiert”, warnt auch der europäische Industrieverband Business Europe in einem Positionspapier, in dem er für eine “schlaue” technologische Souveränität wirbt. “Wir wollen daran arbeiten, dass Europa bei digitalen Schlüsseltechnologien über Kompetenzen auf internationalem Spitzenniveau verfügt und dabei die Offenheit des europäischen Binnenmarktes gewährleistet”, heißt es im Arbeitsprogramm der Bundesregierung zur EU-Ratspräsidentschaft. – Wertberichtigt Seite 8