LIEFERKETTENGESETZ

Industrie lehnt Schadenersatz als "realitätsfern" ab

Spitzenverbände mahnen Praxistauglichkeit an

Industrie lehnt Schadenersatz als "realitätsfern" ab

sp/rec Berlin/Frankfurt – So knapp das Abstimmungsergebnis zur Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz ausfiel, so eindeutig war vor dem Volksentscheid das von Ablehnung geprägte Meinungsbild unter Industrievertretern. Auch in Deutschland haben sich die Spitzenverbände der Wirtschaft klar positioniert. “Ein Lieferkettengesetz muss praktikabel sein, um vernünftig zu funktionieren”, ließen die Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Dieter Kempf, Ingo Kramer und Eric Schweitzer, Anfang September die Bundesregierung wissen. Für die Wirtschaft seien die verantwortungsvolle Gestaltung von globalen Lieferketten und die Sicherung von Menschenrechten selbstverständlich, hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung vor drei Monaten. Ein praktikables Lieferkettengesetz müsse indes in der täglichen Praxis umsetzbar sein und dürfe den Unternehmen nicht Pflichten auferlegen, die selbst die Bundesregierung in Vereinbarungen mit anderen Staaten nicht durchsetzen könne.Für nicht praxistauglich halten Vertreter der Wirtschaft vor allem eine zivilrechtliche Haftung, die Geschädigten aus dem Ausland Ansprüche auf Schadenersatz gegen deutsche Firmen zugestehen würde. “Insbesondere die Forderung für eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, ist realitätsfern”, betonen die drei Präsidenten der mächtigen Wirtschaftsverbände, die seit Monaten mächtig Druck bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) machen, sich den Plänen von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) entgegenzustemmen.Die Forderung nach zivilrechtlicher Haftung verkenne die Komplexität globaler Lieferketten, die oftmals über 100 Zulieferstufen enthalten und aus Deutschland heraus nicht kontrollierbar seien. Unternehmen könnten deshalb nicht dafür in Haftung genommen werden, appellierten BDI, BDA und DIHK gemeinsam. Der Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) hat sich zuletzt noch deutlicher positioniert. Die Bundesregierung müsse mit dem Gesetzesvorhaben ganz von vorn anfangen unter “sachgerechter Einbeziehung der Wirtschaft”, forderte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann Ende Oktober nach entsprechender Kritik des Normenkontrollrats an der Bundesregierung. Initiative LieferkettengesetzEinmütig ist die Haltung zum Lieferkettengesetz in der Wirtschaft freilich nicht. Der sogenannten “Initiative Lieferkettengesetz” haben sich neben den Betriebsräten mehrerer Dutzend Konzerne auch immer mehr Unternehmer selbst angeschlossen. Auffällig ist, dass gerade Mittelständler und nicht börsennotierte Firmen auf Sorgfaltspflichten pochen. “Ich bin kein Anhänger von staatlicher Regulierung, aber im Falle sozialer und ökologischer Verantwortlichkeit versagt der Markt”, sagte Sebastian Koeppel, geschäftsführender Gesellschafter des Saftproduzenten Beckers Bester, bei einer Online-Konferenz des Entwicklungshilfeministeriums vor wenigen Tagen. Auch Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Sportausrüsters Vaude, hob darauf ab, dass kleinen Firmen Verhandlungsmacht fehle, um Zulieferer auf Linie zu bringen. Einhellig appellierten die Unternehmer an die Politik, “das Rad nicht neu zu erfinden”, sondern an vorhandene Regularien und Leitsätze, wie sie unter anderem die Vereinten Nationen (UN) und die Industrieländervereinigung OECD ausgegeben haben, anzuknüpfen. So ließen sich Prüfkosten sparen und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.