IM BLICKFELD

"Irland würde irgendwie entschädigt werden müssen"

Von Andreas Hippin, Dublin Börsen-Zeitung, 14.12.2016 Irland wird unter den Auswirkungen des britischen EU-Austritts am meisten zu leiden haben. "Wir gehen von einem harten Brexit aus," sagte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen...

"Irland würde irgendwie entschädigt werden müssen"

Von Andreas Hippin, DublinIrland wird unter den Auswirkungen des britischen EU-Austritts am meisten zu leiden haben. “Wir gehen von einem harten Brexit aus,” sagte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, bei der Vorstellung einer Studie zu den Folgen des britischen Referendums für Irland in Dublin. “Unsere Untersuchungen zeigen, dass es uns allen schlechter gehen wird. Der Kuchen schrumpft, und er wird anders verteilt werden.” Die Volkswirtschaft der Grünen Insel ist eng mit dem Vereinigten Königreich verbunden. Beim Außenhandel macht Großbritannien rund 17 % aus, die Vereinigten Staaten ebenso. Rund 13 % der Güterexporte gehen nach Großbritannien. Wichtiger noch: 30 % der Güterimporte stammen von dort. Im Falle eines Ausstiegs der Briten aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) könnten Zölle fällig werden. Irland ist der größte Rindfleischexporteur der nördlichen Hemisphäre. Der WTO-Zoll für Rindfleisch ohne Knochen liege bei 60 %, konstatierte Edgar Morgenroth von der irischen Denkfabrik ESRI (Economic and Social Research Institute) auf einer Presseveranstaltung der AHK Irland. Zudem könnten die irischen Rinderfarmen preislich kaum mit Importen aus Brasilien mithalten, denen nach dem Brexit nichts mehr im Wege stehen würde. Auf Schweinefleisch könnten Zölle in ähnlicher Höhe fällig werden. Davon wäre aber vor allem Dänemark betroffen. Beschaffungskette in Gefahr”Unsere ganze Beschaffungskette geht durch Großbritannien”, sagte Morgenroth. “Dadurch entstehende Probleme sind noch nicht so richtig evaluiert worden.” Besonders stark sei die Importabhängigkeit in Sachen Energie und im Einzelhandel. Ob Lego oder Playmobil fürs Kind, Badprodukte von Geberit oder die Waren, mit denen der Einzelhändler Tesco die Regale nachfüllt – nahezu alles komme durch das Vereinigte Königreich nach Irland. “Man müsste sich andere Beschaffungsketten bauen”, sorgt sich Morgenroth. Und die Schiffszeiten nach Frankreich sind deutlich länger. Ein harter Brexit wäre ähnlich dramatisch wie die Finanzkrise. “Man bekommt die positiven Effekte nicht wieder, ohne dass man Großbritannien wieder integriert.” Aus seiner Sicht werden die Artikel-50-Verhandlungen fehlschlagen. “Wir werden nie dazu kommen, ein Handelsabkommen zu verhandeln”, meint Morgenroth.”Die Atmosphäre ist im Moment ziemlich vergiftet”, sagte Brian Hayes, der für die christdemokratische Fine Gael im Europaparlament sitzt. Deutschland, Finnland, Irland und die Niederlande hätten zunächst eine weiche Haltung eingenommen. Das habe sich aber nach der Rede von Theresa May auf dem Parteitag der britischen Konservativen dramatisch geändert. Je schneller der Prozess nun anlaufe, desto besser. Was die britische Seite wolle, sei unklar. “Für die 27 bedeutet das eine Position der Stärke”, sagte Hayes.Er habe sich diesen Ausgang der Volksabstimmung nicht gewünscht, sagte der irische Premierminister Enda Kenny (Fine Gael). “Es war eine demokratische Entscheidung. Wir müssen nun mit den Konsequenzen umgehen.” Die europäischen Partner müssten sich dabei über die besondere Situation Irlands im Klaren sein, den Friedensprozess im Nordirland-Konflikt und den Umstand, dass das Land als einziger Staat über eine Landgrenze mit dem Vereinigten Königreich verfügt.”Frieden wird zu oft für selbstverständlich gehalten”, sagte Kenny. Wozu das führe, könne man unweit der europäischen Grenzen sehen. “Je schlimmer es für Großbritannien ist, desto schlimmer wird es für Irland”, sagte Hayes. “Irland würde irgendwie entschädigt werden müssen” – von Brüssel, versteht sich. Nordirland verdiene eine Sonderregelung. Noch befinde man sich im Stadium der Vorverhandlungen, betonte Elizabeth McCullough von der strategischen Planungsabteilung des Premierministers für EU-Fragen. Sobald die Verhandlungen begännen, werde die Rhetorik nachlassen. “Wir wollen, dass das künftige Verhältnis so eng wie möglich ist. Aber wir werden bei diesen Verhandlungen sicher nicht als Bevollmächtigte Großbritanniens auftreten.”Für das Finanzzentrum Dublin könnte der Brexit auch eine Chance sein. Viele Firmen hätten schon vor dem EU-Referendum mit der Due Diligence begonnen, sagte Martin Shanahan, CEO der Industrial Development Agency. Nun fänden Standortbesuche statt, Gespräche mit der Aufsicht, Erkundigungen nach Büroflächen. Schwerpunkte seien Banking, Versicherungen, Zahlungsabwicklung und Fonds. “Ich glaube nicht, dass Banken das Verhandlungsergebnis aus Whitehall oder Brüssel abwarten werden”, sagte Shanahan. “Ab dem zweiten Quartal 2017 werden wir sehen, dass Firmen Entscheidungen treffen.”Für den Regulierer wäre das kein Problem, sagte Staatssekretär Eoghan Murphy vom irischen Finanzministerium. “Wenn mehr Leute aus London kommen, wollen auch mehr Leute für die Aufsicht arbeiten”, sagte er. Dem Vernehmen nach fragt man sich jedoch in der Branche, ob der Regulierer mit dem erwarteten Volumen fertig würde. Zudem sorgt man sich, ob ausreichend Liquidität vorhanden wäre. Aber vielleicht fällt der Ansturm aus der City of London auch gar nicht so stark aus wie von den Standortpolitikern erhofft. “Wir haben Interessensbekundungen aus London erhalten”, sagte Kenny. Aber diese Firmen sähen sich auch an anderen Standorten um.