LEITARTIKEL

Italien verspielt seine Zukunft

Über Italien ergießt sich ein Geldregen. Mehr als 80 Mrd. Euro hat die Regierung in Rom für Wirtschaft und private Haushalte lockergemacht. Dazu kommen Mittel von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und von der EU sowie ein quasi unbegrenztes...

Italien verspielt seine Zukunft

Über Italien ergießt sich ein Geldregen. Mehr als 80 Mrd. Euro hat die Regierung in Rom für Wirtschaft und private Haushalte lockergemacht. Dazu kommen Mittel von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und von der EU sowie ein quasi unbegrenztes Anleiheaufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB). Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll das Land im Rahmen des geplanten Wiederaufbaufonds 173 Mrd. Euro in Form von Zuschüssen sowie Krediten mit sehr niedrigen Zinssätzen und sehr langen Laufzeiten erhalten.Italien wurde früh und besonders stark von der Coronavirus-Pandemie getroffen und war schon vorher stark angeschlagen. Nirgendwo wurde die Wirtschaft so stark heruntergefahren. Egal, wie das Hilfspaket am Ende aussieht: Europa ist da und hilft großzügig. Ohne die EZB und ohne die EU wäre Italien längst pleite.Nun ist es an Rom zu handeln. Die Regierung hat die einzigartige Chance, das seit Jahrzehnten in Agonie liegende Land aufzuwecken. Was zu tun ist, ist klar. Es gibt unzählige Analysen, Berichte und Kommissionen wie die Taskforce des Ex-Vodafone-Chefs Vittorio Colao, die Vorschläge vorgelegt haben. Es braucht eine grundlegende Reform der quälend langsamen Justiz und der überbordenden Bürokratie, eine wirksame Bekämpfung von Steuerflucht und Schwarzarbeit, Investitionen in Breitbandnetze, Eisenbahn- und Straßenverbindungen, Schulen und die Digitalisierung sowie eine strukturelle Steuerreform.Doch es geschieht zu wenig. Seit Monaten warten Unternehmen und Haushalte auf beschlossene Liquiditäts- bzw. Einkommenshilfen. Premierminister Giuseppe Conte klagt, dass Teile der Verwaltung gegen die Regierung arbeiten. Die schwache Regierung ist zerstritten und kann sich seit Monaten nicht einigen, ob man die Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für die Reform des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen soll oder nicht, obwohl es praktisch keine Bedingungen gibt. Und seit fast zwei Jahren wird darüber diskutiert, ob die Autobahnen wegen des Einsturzes der Brücke von Genua verstaatlicht werden sollen. Angesichts der damit verbundenen Unsicherheiten unterbleiben nötige Investitionen, und das Straßennetz verfällt weiter. Die Auseinandersetzungen zwischen Rom und der rechten Opposition sowie den Regionen nehmen an Schärfe zu. Gemeinsame Pläne für den Neustart des Landes gibt es nicht.Italien war nicht einmal in der Lage, EU-Mittel etwa aus Regionalfonds abzurufen. Und statt das Land von seinen vielen Fesseln zu befreien, wird das Heil im Staatskapitalismus gesucht. Schon vor der Krise marode Unternehmen wie Alitalia und das Stahlwerk von Taranto sollen Milliardenhilfen erhalten. Es sind Verstaatlichungen in großem Stil geplant, die das Land lähmen werden, denn der Staat ist selten ein guter Unternehmer.Kriminelle Organisationen wie Mafia und Camorra nutzen die Lage und sichern sich große Stücke vom Geldkuchen. Die Jobs derer, die Arbeit haben, werden noch besser geschützt. Großzügige Geschenke wie das Vorziehen des Rentenalters werden nicht in Frage gestellt. Dagegen bleiben die jungen Leute, die schon bisher unter der hohen Jugendarbeitslosigkeit gelitten haben, sich selbst überlassen. Der Süden, seit Jahrzehnten großzügig alimentiert, fällt immer weiter zurück. Die demografische Entwicklung ist katastrophal.Italien war schon vor der Coronakrise schwer krank. Die lange Niedrigzinsphase wurde nicht genutzt, um Schulden abzubauen. Die Gefahr ist immens, dass das viele Geld verplempert wird für unnütze Ausgaben, die vielleicht kurzfristig helfen, aber festgefahrene Strukturen zementieren und die strukturellen Probleme nicht lösen. Europaskeptische Parteien haben die Mehrheit der Wähler hinter sich. Schon die nächste Regierung fühlt sich an eingegangene Versprechen nicht gebunden.Der Herbst könnte furchtbar werden – mit einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und einem Übergreifen der Krise der Realwirtschaft auf die Banken, denen gewaltige Kreditausfälle drohen. Italien könnte dauerhaft zum Kostgänger Europas werden. Das kann weder Italien wollen, noch würden es die Steuerzahler in Mittel- und Nordeuropa akzeptieren, die drittgrößte Volkswirtschaft Europas ad infinitum zu alimentieren.Die Option eines Austritts aus der Eurozone darf kein Tabu sein – begleitet von einem Schuldenschnitt. Mit Abwertungen seiner Landeswährung ist Italien schließlich jahrzehntelang gut gefahren.——Von Gerhard BläskeEuropa ist da und hilft großzügig. Ohne die Europäische Zentralbank und die EU wäre Italien längst pleite. Nun ist es an Rom zu handeln. ——