IM BLICKFELD

Italiens Dauerkrise gefährdet auch Europa

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 10.8.2019 Ausgerechnet im August lässt Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini die Regierung platzen. Dann, wenn ganz Italien am Strand liegt. Das hat es selbst im Bel Paese, wo nun die 65. Regierung...

Italiens Dauerkrise gefährdet auch Europa

Von Gerhard Bläske, MailandAusgerechnet im August lässt Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini die Regierung platzen. Dann, wenn ganz Italien am Strand liegt. Das hat es selbst im Bel Paese, wo nun die 65. Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg fällt, kaum einmal gegeben. Salvini hat ein Misstrauensvotum gegen Regierungschef Giuseppe Conte und dessen Regierung aus Lega und der 5-Sterne-Bewegung angekündigt. Er fordert schnelle Neuwahlen. “Wer Zeit verliert, schadet dem Land”, argumentiert er.Doch es könnte länger dauern, als der Lega-Chef, den seine Fans “Capitano” nennen, denkt. Denn nachdem der verärgerte Conte Salvinis Forderung nach einem sofortigen Rücktritt abgelehnt hat, muss nun eben der parlamentarische Weg beschritten werden. Die Abgeordneten sind aber im Urlaub. Sie einzuberufen, das dauert. Frühestens am 20. August könnte über den Antrag entschieden werden. Vielleicht erst später. Salvini will Neuwahlen am 13. Oktober. Es könnte jedoch November werden.Es kommt hinzu, dass auch Staatspräsident Sergio Mattarella ein Wörtchen mitzureden hat. Er könnte die 5 Sterne mit der Regierungsbildung beauftragen. Die Bewegung ist zwar in den Umfragen auf unter 18 % abgestürzt. Aber sie ist mit ihren 32 % vom März 2018 im derzeitigen Abgeordnetenhaus immer noch die bei weitem stärkste Partei. Salvini warnt vorsorglich vor einem Bündnis der 5 Sterne mit dem linken Partito Democratico (PD) – ohne Neuwahlen. Doch Mattarella könnte auch eine technische Regierung ernennen, die das Budget für 2020 plant, das bis zum 15. Oktober nach Brüssel geschickt werden muss. Auch das wäre ein Horrorszenario für Salvini.Der Parteichef will unbedingt das Momentum nutzen: Denn Umfragen sagen ihm 36 bis 37 % voraus. Er könnte nach Neuwahlen entweder allein oder mit der noch weiter rechts stehenden Partei Fratelli d’Italia regieren. Spread steigt deutlichDie Finanzmärkte mögen Unsicherheiten nicht. Die Mailänder Börse gibt kräftig nach, der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen, eine Art Fieberthermometer, stieg binnen zwei Tagen von 205 auf bis zu 242 Basispunkte, was die Finanzierungskosten für den Staat, die Banken und die Unternehmen erhöht – und das angesichts einer stagnierenden Wirtschaft.Auch sonst kommt das Ende der Regierung zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – mitten in der Vorbereitung des Haushalts für 2020. Salvini drang zuletzt auf massive Steuersenkungen, auch um den Preis eines Haushaltsfehlbetrags von deutlich über 2 %. Die EU-Kommission geht bisher für 2020 sogar von 3,5 % aus und erwartet einen Schuldenanstieg auf 135 %. Der Lega-Chef hatte den parteilosen Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria, der auf die Einhaltung der Regeln pochte, für seine vorsichtige Haushaltspolitik massiv kritisiert. Auch mit der EU-Kommission waren heftige Konflikte programmiert. Ohne handlungsfähige Regierung droht nun eine automatische Klausel in Kraft zu treten, die eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer für den Fall vorsieht, dass die Defizitziele nicht erreicht werden. Das will eigentlich nicht nur die Lega verhindern, sondern auch alle anderen Parteien im Parlament. Die seit Juni 2018 amtierende Koalitionsregierung aus Lega und 5 Sternen war eigentlich schon seit dem Wahlsieg der Lega bei den Europawahlen im Mai nicht mehr handlungsfähig. Insofern ist ihr Ende nur logisch. In praktisch allen Fragen waren die Partner gespalten: in der Sicherheitspolitik genauso wie in Fragen der geplanten Autonomie für einige norditalienische Regionen, in Steuerfragen genauso wie im Hinblick auf die Haushaltspolitik und eine Justizreform.Die Lega sprach sich außerdem scharf gegen die Pläne der 5 Sterne für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 9 Euro aus. Das Fass zum Überlaufen brachten die Zustimmung der 5 Sterne zur Wahl Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin und das Ja der Lega, zusammen mit der Opposition, für den Bau der Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lyon und Turin – gegen Regierungspartner 5 Sterne.Mit ihrer Wirtschaftspolitik hatte die Regierung aber schon vorher wesentlich dazu beigetragen, dass die drittgrößte Volkswirtschaft und der zweitgrößte Exporteur der EU innerhalb Europas quasi zum Paria wurde. Die Wirtschaft, seit 20 Jahren in einer Dauerkrise, wächst nicht, Defizit und Schulden steigen. Zwar ging die Arbeitslosigkeit auf 9,7 % zurück. Doch viele der Jobs sind unproduktiv und schlecht bezahlt. Vor allem junge Leute im Süden finden keinen Job. Viele qualifizierte Arbeitskräfte verlassen das Land.Die Regierung aber drehte die Arbeitsmarktreform Matteo Renzis, durch die viele neue Jobs geschaffen wurden, teilweise zurück, setzte das Renteneintrittsalter trotz dramatischer demografischer Probleme im Land herunter und führte einen Mindestlohn von 780 Euro ein, der die Schwarzarbeit fördert, aber nicht die Beschäftigungssituation verbessert.Dass Salvini trotz der schwierigen Lage so gute Gewinnchancen hat, liegt auch an den fehlenden Alternativen. Für die aktuelle Situation sind frühere Regierungen verantwortlich, in die die Italiener kein Vertrauen mehr haben. Die von Salvini mit harter Hand geführte Lega verspricht vor allem mit ihrer rigiden Sicherheits- und Immigrationspolitik vermeintlich einfache Lösungen. Dieses Thema hat für viele Italiener Priorität. Und: Andere Parteien wie PD, 5 Sterne und Berlusconis Forza Italia sind schwach und stehen vor der Spaltung. Folgen für die EUEs sieht also ganz danach aus, als ob Italien früher oder später von einer äußerst euroskeptischen und stramm rechtsgerichteten Regierung geführt würde, die keine Rücksicht auf europapolitische Verpflichtungen nimmt. Die Unsicherheit dürfte zunehmen. Die Reaktion der Finanzmärkte könnte furchtbar sein. Die Probleme des wirtschaftspolitischen Schwergewichts könnten auch für die EU unabsehbare Folgen haben.