Italiens Premier geht auf Europa zu

Korrekturen in Flüchtlingspolitik - Revision des Stabilitätspaktes

Italiens Premier geht auf Europa zu

bl Mailand – Italiens Premierminister Giuseppe Conte will eine “neue Phase der Reformen” einleiten und hat sich zum Ziel gesetzt, das zuletzt angespannte Verhältnis zu Europa vertrauensvoller zu gestalten. In seiner Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus kündigte Conte Änderungen in der Flüchtlingspolitik an und forderte eine Revision des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU. Das Ergebnis der Vertrauensfrage im Parlament wurde erst nach Redaktionsschluss bekannt gegeben.Conte ist Premierminister der neuen Linksregierung aus dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der kleinen Linkspartei Liberi e Uguali (LeU). Er stand bereits der Vorgängerregierung aus der rechtsnationalen Lega und den Fünf Sternen vor, die im August auseinandergebrochen ist.Die neue Regierung will auf Europa zugehen. Conte schwebt vor, dass Migranten bereits vor ihrer Ankunft in Italien auf verschiedene EU-Länder verteilt werden. Die Blockade italienischer Häfen soll aufgegeben und Flüchtlinge sollen im Land in kleineren Einrichtungen untergebracht werden. Der Premierminister setzt auf strukturelle Ansätze und “Strenge und Verantwortung”. Die Sicherheitsgesetze, die auf Betreiben des früheren Vizepremiers und Lega-Chefs Matteo Salvini deutlich verschärft worden waren, sollen teilweise revidiert werden, kündigte Conte an.In der Europapolitik setzt er auf Konsens und Vertrauen. Er teilt die Haltung von Staatspräsident Sergio Mattarella, der eine Revision des Stabilitäts- und Wachstumspakts fordert. Der Premierminister kündigte an, die Steuern für kleine und mittlere Einkommen senken zu wollen. “Alle müssen Steuern zahlen, damit alle weniger zahlen”, sagte er mit Hinweis auf die schlechte Steuermoral im Land. MehrwertsteuererhöhungGleichzeitig will Conte auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer verzichten, die mit Brüssel für den Fall vereinbart worden ist, dass das Defizit sonst nicht reduziert werden kann. Er kündigte an, dass die Regierung außerdem in grüne Technologien, das Bildungswesen, familienpolitische Maßnahmen und die Infrastruktur investieren möchte, eine Förderbank für Süditalien gründen will, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns plant und die Zahl der Parlamentarier deutlich reduzieren möchte. Außerdem sollen Konzessionen für den Betrieb von Autobahnen überdacht werden.Der Regierungschef blieb eine Antwort darauf schuldig, wie mit diesen Maßnahmen das Defizit von voraussichtlich 2,0 % in diesem Jahr reduziert werden soll. Conte muss am Dienstag auch im Senat die Vertrauensfrage stellen. Anders als im Abgeordnetenhaus hat die Regierung dort nur eine knappe Mehrheit.Während der Regierungserklärung demonstrierten in Rom Tausende von Anhängern der rechten Oppositionsparteien Lega und Fratelli d’Italia, nicht aber der Berlusconi-Partei Forza Italia. Die Demonstranten forderten sofortige Neuwahlen.Vincenzo Boccia, Chef des Industriellenverbandes Confindustria, begrüßte die geplanten Steuersenkungen. Boccia forderte ein europäisches Infrastrukturprogramm im Umfang von 500 Mrd. bis 1 Bill. Euro, das durch die Ausgabe europäischer Bonds finanziert werden solle.