Italiens Regierung steht vor dem Ende

Lega-Chef Salvini drängt auf Neuwahlen, vollzieht den Bruch aber noch nicht offiziell

Italiens Regierung steht vor dem Ende

bl Mailand – Italiens Regierung steht vor dem Ende. Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini sieht Neuwahlen, die Mitte Oktober stattfinden könnten, als einzige Alternative zu einer Fortführung der Koalition mit der 5-Sterne-Bewegung. Nach seiner Ansicht sind die Gegensätze zwischen den beiden Partnern unüberbrückbar. Es sei unnütz, mit den täglichen Streitereien weiterzumachen. “Jeder Tag, der vergeht, ist ein verlorener Tag”, sagte Salvini, der aber den Bruch noch nicht offiziell vollzog.Die sich schon über Monate hinziehende Krise hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. “Etwas ist kaputtgegangen”, sagte dazu Salvini Bei einer Senatsabstimmung über den Bau der Bahnhochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon waren die Gegensätze am Mittwoch offen zutage getreten. Die Lega stimmte zusammen mit den Oppositionsparteien für den Weiterbau und desavouierte damit die 5-Sterne, die seit jeher gegen das Projekt sind und dagegen stimmten.Dem Vernehmen nach traf sich Ministerpräsident Conte anschließend mit Salvini und 5-Sterne-Chef sowie Vizepremier Luigi Di Maio. Am Donnerstag kam Conte außerdem überraschend mit Staatspräsident Sergio Mattarella in dessen Amtssitz zusammen. Er verließ den Staatspräsidenten, ohne Kommentare abzugeben. Die beiden Vizepremiers Salvini und Di Maio annullierten für den Donnerstag alle Termine.In italienischen Medien hatte es zunächst geheißen, Salvini fordere den Rücktritt von zwei 5-Sterne-Ministern sowie des parteilosen Wirtschafts- und Finanzministers Giovanni Tria, der an den Finanzmärkten als einer der wenigen vertrauenswürdigen Regierungspolitiker gilt. Von Salvini kam gestern dann ein Dementi: Es gehe nicht darum, neue Posten für die Lega zu erhalten.Die rechtsnationale Lega und die populistischen 5-Sterne regieren seit Juni 2018 miteinander. Sie hatten gemeinsam die Absenkung des Eintrittsalters in die Rente sowie die Einführung eines Grundeinkommens beschlossen. Aktuell liegen sie in fast allen zentralen Fragen auseinander. Salvini fordert kräftige Steuersenkungen, auch um den Preis eines deutlich höheren Haushaltsfehlbetrags. Auch in Fragen der Infrastruktur- und Haushaltspolitik, bei der geplanten Justizreform, der Autonomie für norditalienische Regionen, dem von den 5-Sternen geforderten Mindestlohn und in der Migrationspolitik sind die Gegensätze groß. Selbst in der Europapolitik gab es Streit, weil die 5-Sterne Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin wählten.Der Lega-Chef hatte den Koalitionspartner zuletzt immer wieder provoziert – sowohl mit Angriffen auf dessen Politik, als auch mit Attacken gegen führende Repräsentanten der Partei, wobei er deren Chef Luigi Di Maio aussparte. Seit den Europawahlen, bei denen die Lega ihren Stimmenanteil auf rund 34 % verdoppelte, während die 5-Sterne von 32 auf 17 % abstürzten, hat Salvini Oberwasser. Obwohl einer seiner engsten Vertrauten in einen Skandal um eine illegale Parteienfinanzierung aus Moskau verstrickt ist, steigen seine Umfragewerte. Bei Neuwahlen könnte er mit annähernd 40 % der Stimmen rechnen. Bei einer Regierungsbildung wäre er dann wohl nicht einmal auf die Unterstützung von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia angewiesen, sondern könnte allein mit der noch weiter rechts stehenden Partei Fratelli d’Italia regieren. Die Linkspartei Partito Democratico (PD) hat keine ernsthafte Chance und steht vor einer Spaltung.Neuwahlen könnten am 13. oder 20. Oktober stattfinden. Staatspräsident Mattarella könnte jedoch auch die 5-Sterne-Bewegung als größte Partei im aktuellen Parlament mit der Regierungsbildung beauftragen. Teile der PD könnten geneigt sein, eine Regierung mit den Populisten zu bilden. Möglich ist auch die Berufung einer technischen Übergangsregierung. – Bericht Seite 17