GASTBEITRAG

Japans Abkehr von der Deflation

Börsen-Zeitung, 7.5.2019 Nach zwanzig Jahren massiver Deflation wächst das nominale Bruttoinlandsprodukt in Japan wieder. Vor allem der BIP-Deflator hat sich verändert. Der seit Mitte der 1990er Jahre konstant negative Preisindex hat in den letzten...

Japans Abkehr von der Deflation

Nach zwanzig Jahren massiver Deflation wächst das nominale Bruttoinlandsprodukt in Japan wieder. Vor allem der BIP-Deflator hat sich verändert. Der seit Mitte der 1990er Jahre konstant negative Preisindex hat in den letzten Jahren ins Plus gedreht. Zum Teil ist dies ein zyklischer Effekt, der dem sinkenden weltweiten Deflationsdruck und dem beschleunigten globalen Wachstum zuzuschreiben ist. Daneben gab es aber auch wichtige Veränderungen im Inland.Jahrelang galten Preiserhöhungen in Japan angesichts von Deflation und schwacher Wirtschaft als gesellschaftlich inakzeptabel. 2016 entschuldigte sich der Desserthersteller Akagi Nyugyo in seinem berühmten TV-Werbespot bei den Kunden für die erste Preiserhöhung seit 25 Jahren. 2017 sorgte der führende Paketzusteller Yamato Holdings mit der ersten Preiserhöhung seit 27 Jahren ebenfalls für Wirbel. In Anbetracht der starken Nachfrage und des Mangels an Fahrern erklärte Yamato jedoch, die Firma könne nicht länger einen weltweit erstklassigen Lieferservice zu Dumping-Preisen anbieten, wenn es seine Mitarbeiter fair bezahlen und profitabel operieren wolle. Inzwischen hat sich die Einstellung der Kunden nach Angaben des Unternehmens geändert: Die deflationäre Mentalität wurde durch die Erkenntnis ersetzt, dass Teuerung mitunter angebracht ist. Inzwischen trauen sich die Unternehmen zumindest, die Preise zu erhöhen, um die Qualität ihrer Waren und Dienstleistungen widerzuspiegeln, ohne sich dafür bei den Kunden entschuldigen zu müssen. Diese Preiserhöhungen tragen zum Schutz der Margen bei und unterstreichen die sich aufhellenden Gewinntrends. Die alternde und schrumpfende japanische Bevölkerung steht einer starken Teuerung jedoch weiterhin entgegen. Die Rückkehr zu einer höheren Inflation wird daher langsam vonstattengehen.Die Alterung der japanischen Bevölkerung ist erwiesen. Die ohnehin bereits extrem angespannte Lage am Arbeitsmarkt wird sich weiter verschärfen, da die Erwerbsbevölkerung unaufhaltsam abnimmt. Dadurch wird das Wirtschaftswachstum erheblich gebremst. Japan hat jedoch inzwischen erkannt, dass ihm langsam die Arbeitskräfte ausgehen, und reagiert entsprechend darauf.Das Land hat mit großem Erfolg bisher nicht Erwerbstätige, allen voran Frauen und ältere Menschen, auf den Arbeitsmarkt geholt. Die Erwerbsbeteiligung steigt weiterhin rapide und holt mit einer Quote von 61,4 % Ende 2018 rasant zu den USA mit 63,1 % auf. Die Erwerbsbeteiligung japanischer Frauen übertrifft bereits die in den USA und wird durch staatliche Initiativen gefördert, die unter dem Schlagwort “Womenomics” speziell auf eine Erhöhung der weiblichen Beteiligungsquote abzielen.Daneben gibt es Anzeichen dafür, dass sich Japans traditionell verschlossene Haltung gegenüber Einwanderung und ausländischen Arbeitskräften verändert. Darauf deuten vor allem die staatlichen Tourismusinitiativen hin. 2008 hat sich Japan das anscheinend ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2020 jedes Jahr 20 Millionen ausländische Touristen ins Land zu locken. Dieses Ziel wurde bereits fünf Jahre früher erreicht. Daraufhin hat die Regierung ihr Ziel für 2020 auf 40 Millionen Besucher verdoppelt, und für 2030 werden 60 Millionen ausländische Touristen anvisiert. Einwanderung soll helfenDer Tourismus ist nicht nur eine willkommene Quelle importierter Verbrauchernachfrage, sondern verstärkt den Einfluss des Auslands auf die japanische Gesellschaft. Inzwischen hat die Regierung eine Reform der Einwanderungsbestimmungen angestoßen. So wurden unlängst die Visabestimmungen gelockert, und seit Kurzem dürfen ausländische Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen ihre Familien mit nach Japan bringen. Diese Entwicklungen stehen aber noch ganz am Anfang, und der Anteil ausländischer Arbeitnehmer an der Erwerbsbevölkerung insgesamt beträgt nur 2 %. Der Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen in Japan ging 2017 jedoch zu 30 % auf das Konto von Ausländern.Die Einwanderung wird verstärkt dazu beitragen, die Auswirkungen einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung auszugleichen. Die Produktivität wird maßgeblich darüber entscheiden, ob das Land Wirtschaftswachstum erzielen kann. Die dem globalen Wettbewerb am meisten ausgesetzten Wirtschaftszweige, allen voran das verarbeitende Gewerbe, erzielen seit der weltweiten Finanzkrise ein sehr solides Produktionswachstum, das dem Sektor hilft, global wettbewerbsfähig zu bleiben. In anderen, auf den Binnenmarkt fokussierten Sektoren, die sich nicht mit der weltweiten Konkurrenz messen müssen, ist das Produktivitätswachstum dagegen zurückgefallen. Die stärksten Produktionsgewinne sind in Zukunft in der auf Dienstleistungen basierenden Binnenwirtschaft zu erwarten.Die Margen von Unternehmen steigen, und die Gewinne in Japan befinden sich auf einem Allzeithoch. Dies liegt zum Teil an den erwähnten Verhaltensänderungen von Unternehmen. Zum Teil ist es aber auch das Ergebnis jahrelanger schmerzhafter Umstrukturierungen nach der globalen Finanzkrise, da ein starker Yen und die Billigkonkurrenz aus China japanische Unternehmen gezwungen haben, sich in der Qualitätskette nach oben zu entwickeln und Bereichen mit wenig Mehrwert den Rücken zu kehren. Die Reformen haben den japanischen Unternehmenssektor erheblich robuster gemacht: Während der Abkühlung in China zwischen 2015 und 2016 sind die Gewinne in Japan nur moderat gesunken. Früher wäre mit einem steilen Einbruch zu rechnen gewesen. Reformen greifenDie japanische Wirtschaft und die Denkweise von Unternehmen und Verbrauchern in Japan haben sich grundlegend geändert. Die in Angriff genommenen Reformen beginnen zu greifen. Das Problem der Überalterung begegnet die Regierung durch Förderung der Frauenerwerbstätigkeit sowie einer langsamen Öffnung gegenüber ausländischen Arbeitnehmern. Der Mangel an Arbeitskräften und die Teuerung zwingen Unternehmen zusätzlich, sich auf Effizienzsteigerungen zu konzentrieren, um zu überleben. Es ist zu vermuten, dass die Abhängigkeit des Landes vom globalen Zyklus im Laufe der Zeit zurückgehen wird. Japan wird zwar nicht vollständig vor weitreichenden zyklischen Einflüssen gefeit sein, dennoch wird die sinkende Abhängigkeit den Ausblick für japanische Unternehmen solider machen und den Weg für kräftiges Gewinnwachstum bereiten, sobald sich das globale Klima aufhellt. Alex Lee, Portfolio Manager Aktien bei Columbia Threadneedle Investment