Japans Arbeitskultur verlangt viele Opfer

Jede fünfte Firma fordert mehr als 80 Überstunden

Japans Arbeitskultur verlangt viele Opfer

mf Tokio – Japans Regierung hat eine Kommission für einen anderen “Arbeitsstil” eingesetzt. Festangestellte Beschäftigte sollen ihre Überstunden verringern, damit Zeitarbeiter höhere Löhne erhalten. Jetzt hat ein Weißbuch der Regierung enthüllt, wie weit Überstunden in Japans Arbeitswelt verbreitet sind. Danach lassen 10,8 % der befragten Firmen einige Beschäftigte zwischen 80 und 100 Überstunden pro Monat ableisten. Weitere 11,9 % der Firmen verlangen mehr als 100 zusätzliche Arbeitsstunden pro Monat. Bei der offiziellen Fünf-Tage-Woche wären dies fünf Überstunden täglich. Doch in vielen Betrieben und Büros wird auch samstags und an Feiertagen gearbeitet. Einen Schwerpunkt bildet die IT-Branche. Dort sind in 44 % der Firmen über 80 Überstunden monatlich üblich.Das 280 Seiten dicke Weißbuch soll dem Phänomen von Karoshi auf den Grund gehen. Die japanischen Schriftzeichen bedeuten “Sterben durch ein Übermaß an Arbeit”. Das amtliche Kriterium für Überarbeitung liegt bei 100 Überstunden im Monat vor dem Tod oder durchschnittlich 80 Überstunden in den sechs Monaten vor dem Tod. Wie das Weißbuch enthüllt, herrschen solche Bedingungen also in mehr als 20 % aller Unternehmen. Doch den Beweis müssen die Angehörigen der Karoshi-Opfer führen. Diese sterben entweder an Herzinfarkt, Gehirnblutung und Schlaganfall oder brechen seelisch zusammen, bekommen Depressionen und nehmen sich das Leben.2015 stellten die Opfer oder ihre Angehörigen 1 456 Anträge auf Anerkennung von Karoshi, damit die Firmen eine Entschädigung zahlen. Zugleich registrierte die Polizei 2 159 Suizide, bei denen Probleme am Arbeitsplatz eine Rolle gespielt haben sollen. Aber staatlich akzeptiert wurden nur 93 Fälle von tödlichen Erkrankungen und 93 Fälle von versuchter oder gelungener Selbsttötung. Die Diskrepanz zeigt, dass die vom Arbeitsministerium anerkannten Karoshi-Fälle wohl nur die Spitze eines Eisbergs bilden. Die meisten anerkannten Fälle gibt es bei sozialen Diensten und in der Baubranche. Dort herrscht großer Arbeitskräftemangel. Die Unternehmen tragen wenig zur Aufklärung bei: Statt der erhofften 10 000 nahmen nur 1 700 Firmen an der Umfrage teil. Aktiv gegen ÜberarbeitungDas Gesetz zur Verhinderung von Karoshi, das im November 2014 in Kraft getreten ist, kam nur aufgrund einer Initiative einer Bürgergruppe von Angehörigen der Karoshi-Opfer zustande. Seitdem müssen Behörden und Unternehmen gegen die Überarbeitung aktiv werden. Die Regierung von Shinzo Abe will den Anteil der Beschäftigten, die mehr als 60 Stunden pro Woche arbeiten, auf 5 % verringern. Außerdem sollen alle Beschäftigten bis 2020 mindestens 70 % ihrer bezahlten Urlaubstage nehmen.